I. Ermittlung und Verdeutlichung des Risikos

 

Rz. 43

Mit dem Scheitern der Güteverhandlung tritt die Auseinandersetzung für den Arbeitgeber in eine kritische Phase. Eine zügige Einigung zu passablen Konditionen konnte nicht erreicht werden. Nun droht ein möglicherweise langwieriges arbeitsgerichtliches Verfahren, dessen regelgerechte Vorbereitung und Durchführung nicht nur Ressourcen bindet, sondern in dessen Verlauf auch das mehrfach herausgestellte Annahmeverzugslohnrisiko erheblich ansteigen kann. Für den Arbeitgebervertreter stellt sich hiermit eine besonders schwierige Beratungsaufgabe: Einerseits kann eine vorsichtige Herangehensweise (z.B. der Rat, das Abfindungsangebot in einem außergerichtlichen Vorschlag deutlich zu erhöhen) als defätistisch empfunden werden; der Mandant wird sich dann für den nächsten arbeitsrechtlichen Fall möglicherweise einen anderen Anwalt suchen. Andererseits kann die forsche Empfehlung, den Prozess ohne weiteres nötigenfalls bis in die zweite Instanz durchzuführen, in einem horrend teuren Abfindungsvergleich ihr klägliches Ende finden.

 

Rz. 44

Der Arbeitgebervertreter wird die zur Begründung der sozialen Rechtfertigung und Wirksamkeit der Kündigung nötigen Tatbestandsmerkmale noch einmal Punkt für Punkt gründlich durchgehen:

Sind alle Informationen vorhanden, um wirklich substantiiert zu jedem einzelnen Punkt vortragen zu können?
Sind wirklich alle Formalien hieb- und stichfest eingehalten (Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, Schriftform der Kündigung, Zustimmungserfordernisse bei Sonderkündigungsschutz, Formalien der Betriebsratsanhörung usw.)?
Kann für streitige Tatsachen, für die der Arbeitgeber beweispflichtig ist, hinreichender Beweis erbracht werden?
Sind etwa zu hörende Zeugen mit der nötigen Tatsachenkenntnis ausgestattet und hinreichend sicher im Auftreten?
Ist die Wirksamkeit der Kündigung von Wertungen abhängig, die man so oder auch anders treffen kann?
 

Rz. 45

Die Komplexität des Kündigungsschutzrechts, verbunden mit dem Umstand, dass der Arbeitgeber für die soziale Rechtfertigung und Wirksamkeit der Kündigung regelmäßig darlegungs- und beweispflichtig ist, führt in der überwiegenden Zahl der Kündigungsschutzrechtsstreitigkeiten dazu, dass der Arbeitgeber nicht hinreichend sicher davon ausgehen kann, im Rechtsstreit zu obsiegen. Die wenigen Fälle, in denen sich das anders verhält, sind in taktischer Hinsicht nicht problematisch und müssen deshalb hier nicht weiter behandelt werden.

 

Rz. 46

Die Prognose, ob der Arbeitnehmer in absehbarer Zeit eine neue Anstellung finden wird, ist kritisch zu prüfen. Es muss unter Umständen damit gerechnet werden, dass der Arbeitnehmer in den nächsten zwei bis drei Jahren keine neue Beschäftigung zu finden vermag, möglicherweise jedenfalls für die Zeitspanne des Arbeitslosengeldbezuges (nach § 147 Abs. 2 SGB III beträgt die Dauer des Anspruchs auf ALG I vor Vollendung des 50. Lebensjahres höchstens zwölf Monate, bei über 50-Jährigen bis zu 15, bei über 55-Jährigen bis zu 18, bei über 58-Jährigen bis zu 24 Monate) daran kein gesteigertes Interesse besitzt.

 

Rz. 47

Der Arbeitgebervertreter muss nunmehr mit seinem Mandanten Möglichkeiten besprechen, um ein sich auftuendes Annahmeverzugslohnrisiko zu eliminieren oder zumindest zu reduzieren.

II. "Rücknahme" der Kündigung

 

Rz. 48

Die bereits oben angesprochene Erklärung, aus der Kündigung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, beschränkt sich in ihrem taktischen Anwendungsbereich nicht auf die Fälle, in denen der Arbeitnehmer bereits eine neue Arbeitsstelle gefunden hat. Sie kann insbesondere auch dann sinnvoll sein, wenn die Kündigung an nicht zu übersehenden Mängeln leidet. Der Arbeitgeber gewinnt damit genug Zeit, um in dem zunächst unverändert fortgeführten Arbeitsverhältnis eine erneute Kündigung vorbereiten zu können. Die "Rücknahme" der Kündigung kann auch dann probat sein, wenn der Arbeitgeber die Arbeitskraft des betreffenden Arbeitnehmers nach wie vor nutzbringend einzusetzen vermag. Das scheint zwar auf den ersten Blick der Tatsache zu widersprechen, dass eine Kündigung ausgesprochen wurde, ist aber in der Praxis dennoch nicht selten. Es kann z.B. sein, dass ein Arbeitgeber betriebsbedingt und unter Beachtung der Regeln der durchzuführenden Sozialauswahl dem sozial am wenigsten schützenswerten Arbeitnehmer kündigt, den er wegen seiner Leistungen durchaus gern behalten hätte. Nun ergibt sich nach Ablauf der Kündigungsfrist aufgrund des Ausscheidens eines sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers derselben Abteilung mit vergleichbarem Arbeitsplatz die Möglichkeit, den Betreffenden weiterhin zu beschäftigen. In solchen Fällen erscheint es regelmäßig wenig sinnvoll, die Frage der Rechtmäßigkeit der Kündigung gerichtlich klären zu lassen und sich dabei finanziellen Risiken auszusetzen, die im Falle der "Rücknahme" der Kündigung nicht oder in weitaus geringerem Maße auftreten.

 

Rz. 49

Ebenso gibt es aber genügend Konstellationen, in denen die "Rücknahme" einer Kündigung nicht in Frage kommt, insbesondere weil die Arbeitskraft des betreffenden Arbeitnehm...

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