Rz. 8

Gem. § 363 Abs. 1 AO kann die Finanzbehörde ohne Zustimmung des Rechtsbehelfsführers ihre Entscheidung über den eingelegten Einspruch aussetzen, wenn die Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anhängigen Rechtstreits bildet oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist (Fall der Vorgreiflichkeit).

Das Einspruchsverfahren ruht auch, wenn der Rechtsbehelf ausdrücklich auf eine Rechtsfrage gestützt wird, hinsichtlich derer ein Musterverfahren beim EuGH, BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig ist (§ 363 Abs. 2 S. 2 AO), es sei denn, die Steuer wurde insoweit bereits nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt. Nach Ansicht des BFH kann das Finanzamt das Ruhen des Verfahrens auch dadurch beenden, dass es die Steuer bezüglich der vorgreiflichen Rechtsfrage für vorläufig erklärt und den Einspruch dann im Übrigen zurückweist.[19] Ein Verfahren vor dem EGMR ist kein Grund für ein Ruhen des Verfahrens.[20] Die Finanzverwaltung kann das Ruhen des Verfahrens auch durch Allgemeinverfügung für bestimmte gleich gelagerte Fälle anordnen (§ 363 Abs. 2 S. 3, 4 AO) oder mit Zustimmung des Einspruchsführers aus wichtigem Grund anordnen, wenn dies zweckmäßig erscheint (§ 363 Abs. 2 S. 1 AO).

Ruht das Verfahren gem. § 363 Abs. 2 S. 2 AO bezüglich einer bestimmten Rechtsfrage, kann das Finanzamt über andere Rechtsfragen in dem Einspruch durch Teileinspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO) entscheiden, wenn diese entscheidungsreif sind. Im Fall einer für den Steuerpflichtigen ungünstigen Entscheidung des obersten Bundesgerichts kann der zunächst ruhend gestellte Einspruch dann gem. § 367 Abs. 2b AO durch Allgemeinverfügung zurückgewiesen werden.[21]

Wird das Ruhen des Verfahrens widerrufen, kann die Rechtswidrigkeit des Widerrufs nur durch Klage gegen die daraufhin ergangene Einspruchsentscheidung geltend gemacht werden (§ 363 Abs. 3 AO). Der Steuerpflichtige hat dann zwei Möglichkeiten: Er kann eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung erreichen, indem er einen entsprechenden Hauptantrag stellt und einen Antrag auf Entscheidung in der Sache nur hilfsweise, oder er kann unmittelbar in der Sache selbst gegen den Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung vorgehen.[22]

[20] Vgl. BT-Drucks 17/10000, 80, Tipke/Kruse, § 363 AO Rn 12; zur Rechtslage vor der Änderung des § 363 Abs. 2 S. 2 durch Gesetz v. 26.6.2013, BGBl I 2013, 1809: BFH v. 10.5.2012, BFH/NV 2012, 1570.

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