Rz. 95

Zur Vorbereitung der Kammerverhandlung wird das Gericht meistens zunächst dem beklagten Arbeitgeber eine Frist setzen, um die soziale Rechtfertigung der Kündigung zu begründen. Sodann wird dem Kläger eine Frist gesetzt, um hierauf zu erwidern. Gem. § 6 S. 1 KSchG hat der klagende Arbeitnehmer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz sämtliche behaupteten Unwirksamkeitsgründe der Kündigung in den Rechtsstreit einzuführen. Das bedeutet aber nicht, dass in diesem Zeitrahmen auch alle den geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund betreffenden Tatsachen vorgetragen und alle diesbezüglichen Beweise angeboten worden sein müssten. Man kann sich daher in taktischer Hinsicht durchaus darüber streiten, ob im Rahmen der die Kammerverhandlung vorbereitenden Schriftsätze bereits sämtliche möglichen Argumente geäußert werden müssen bzw. sollten. Zwar bestehen mit § 67 Abs. 2, 3 ArbGG für das Landesarbeitsgericht als Berufungsinstanz Möglichkeiten, unter bestimmten Voraussetzungen verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Von diesen Vorschriften wird allerdings in der Praxis erfahrungsgemäß selten Gebrauch gemacht. Mancher Klägervertreter trägt erst in der zweiten Instanz substantiiert vor und deckt Schwächen des arbeitgeberseitigen Vortrages erst dann auf, um von dem durch den Zeitablauf naturgemäß gesteigerten Annahmeverzugslohnrisiko zu profitieren. Wer diesen Weg wählt, muss sich des damit verbundenen Risikos bewusst sein, dass die Gefahr einer Zurückweisung wegen Verspätung nicht ausgeschlossen werden kann oder die gewählte Vorgehensweise, bestimmten Vortrag bewusst zurückzuhalten, dem zweitinstanzlichen Gericht so offenkundig wird, dass der Klägervortrag – und sei es auch nur unterschwellig – nicht mehr die Würdigung erfährt, die ihm nach seinem Inhalt eigentlich zukäme.

 

Rz. 96

Im Grundsatz ist es daher meist vorzuziehen, sämtliche (bekannten) Argumente bereits zur Vorbereitung der Kammerverhandlung rechtzeitig vorzutragen. Dabei ist eine ausführliche und gut gegliederte Stellungnahme zu allen wesentlichen Punkten zu empfehlen. Soweit die ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratsanhörung nicht bereits in der Klageschrift angezweifelt und die Beklagte diesbezüglich zur Darlegung im Einzelnen unter Vorlage der Anhörungsunterlagen aufgefordert sein sollte, hat dies spätestens jetzt, rechtzeitig vor der Kammerverhandlung, zu geschehen. Dabei sollte sich der Klägervertreter diesbezüglich auch nicht auf einen Satz beschränken, der überdies noch mitten in einem längeren Absatz platziert und deshalb vom Gericht möglicherweise übersehen wird.

 

Rz. 97

Aus taktischer Sicht ist anzuraten, die behauptete Unwirksamkeit der Kündigung nicht bloß an einem einzelnen Tatbestandsmerkmal festzumachen, es sei denn, der diesbezügliche Mangel der Kündigung ist offenkundig. Gelingt es dem Klägervertreter, an möglichst vielen Stellen durch fundierten Vortrag begründete Zweifel hinsichtlich der sozialen Rechtfertigung und sonstigen Wirksamkeit der Kündigung zu wecken, wachsen seine Prozesschancen, denn es erhöht sich damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht dem Klägervertreter zumindest in einem dieser Punkte folgt.

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