Rz. 56

Richter haben sowohl bei der Handhabung als auch bei der Entscheidung eines Rechtstreites fast immer einen erheblichen Ermessensspielraum. Wie dieses Ermessen ausgeübt wird, hängt wesentlich von den interagierenden Personen ab. Niemand wird bestreiten, dass auch Sympathie/Antipathie bei der Ausübung des Ermessens eine Rolle spielen kann. Ein freundlicher, aber nicht anbiedernder Umgang mit Richtern sollte daher selbstverständlich sein. Sicherlich sollte sich ein Anwalt aber auch nicht alles vom Gericht gefallen lassen. Wie in jeder Berufsgruppe gibt es gute und weniger gute Richter. Richter, die mit Totschlagargumenten wie "das hat das BAG doch längst entschieden" arbeiten und dann auf Nachfrage nicht benennen können, wann und wo das BAG die streitige Rechtsfrage längst entschieden hat, verhalten sich ähnlich unprofessionell wie Richter, die Verfahren ohne Rechtsgrundlage so lange aussitzen,[17] bis die Parteien widerwillig doch den Vergleich schließen. Unerfreulich sind auch die Richter, die im Kündigungsschutzstreit die Parteimaxime zugunsten eines Amtsermittlungsgrundsatzes vernachlässigen und, obwohl nicht in den Prozess eingeführt, etwa die Betriebsratsanhörung problematisieren. In alle diesen Fällen mag man über Befangenheitsanträge und/oder Dienstaufsichtsbeschwerden nachdenken.

 

Rz. 57

 

Praxishinweis

In der Praxis wird dies regelmäßig so gut wie nie zum Ziel führen. Im Hinblick auf die Dienstaufsichtsbeschwerde gilt meist der Erfahrungssatz: "Formlos, fristlos, fruchtlos". Beim Befangenheitsantrag wird der Mandantschaft selten mit dem Stellen eines solchen Antrags geholfen sein. In der konkreten Situation kann es hilfreich sein, laut über das Stellen eines solchen Antrags nachzudenken.

 

Rz. 58

Extrem unerfreulich ist die Unsitte mancher Arbeitsgerichte, Terminsverlegungsanträge abschlägig zu bescheiden, weil andere Anwälte der Sozietät den Termin wahrnehmen könnten. Richtig ist, dass nach § 227 ZPO ein Termin nur aufgehoben oder verlegt werden kann, wenn erhebliche Gründe vorliegen. Der Anwalt sollte sich also die Mühe machen, seinen Terminsverlegungsantrag nachvollziehbar zu begründen (Krankheit des Anwalts oder der geladenen Partei, Urlaub des Parteivertreters oder Ähnliches).[18]

 

Rz. 59

Wird ein erheblicher Grund nach § 227 ZPO vorgetragen, so ist dem Verlegungsantrag stattzugeben. Die Begründung, ein anderes Mitglied der Sozietät könne den Termin wahrnehmen, trägt nicht.[19] Denn die Vertretung kommt in den meisten Fällen wegen fehlender Kenntnis des Prozessstoffs nicht in Betracht.[20] Bei vorhersehbarer Abwesenheit (Krankheit, Kur, Urlaub, Fortbildungsveranstaltung etc.) hat der Rechtsanwalt formal jedoch für Vertretung zu sorgen (vgl. § 53 BRAO).[21]

 

Rz. 60

Bei einem Verlegungsantrag sollte der Antragsteller angeben, an welchen Ersatzterminen (die meisten Richter/Kammern haben feste Verhandlungstage) er zur Verfügung steht und an welchen Tagen er erneut verhindert wäre. Dies vermeidet das wiederholte Stellen von Verlegungsanträgen.

[17] Geradezu klassisch: Aussetzen des Verfahrens wegen angeblicher Vorgreiflichkeit eines Strafverfahrens bei einer Verdachtskündigung.
[18] Vgl. Zöller/Feskorn, § 227 Rn 6.
[19] Zöller/Feskorn, § 227 Rn 6a.
[20] BVerwG NJW 1984, 882.
[21] Musielak/Stadler, ZPO, § 227 Rn 5 m.w.N.

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