Rz. 85

Es ist in Rspr. und Literatur anerkannt, dass die Zwangsvollstreckung auch aus einem Titel betrieben werden kann, der auf einen Bruttolohnbetrag lautet.[77] Haben die Parteien nichts anderes vereinbart, ist unter der "vereinbarten Vergütung" nach § 611 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Bruttovergütung zu verstehen.[78]

 

Rz. 86

 

Praxishinweis

Lautet der Titel auf Zahlung eines restlichen Arbeitslohns, ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass es sich hierbei um den Bruttolohn handelt.[79] Das weckt bei dem Mandanten auf Arbeitnehmerseite häufig falsche Vorstellungen. Soll allein der Nettolohn tituliert werden, muss der Bevollmächtigte darauf achten, dass dies ausdrücklich festgehalten wird. Grundsätzlich gilt, dass in arbeitsrechtlichen Zahlungstiteln ausdrücklich festzuschreiben ist, ob es sich um einen Bruttolohnbetrag oder einen Nettolohnbetrag handelt, so geht der Rechtsanwalt dem Grundsatz des sichersten Weges folgend allen Streitigkeiten, insbesondere auch Verzögerungsversuchen des Schuldners aus dem Wege.[80]

 

Rz. 87

Bei der Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungstitel, d.h. insbesondere einem Urteil oder einem Prozessvergleich, der auf einem Bruttolohnbetrag lautet, ist dann auch der gesamte Bruttolohnbetrag beizutreiben.

 

Rz. 88

Der Gerichtsvollzieher ist in diesem Fall allerdings verpflichtet, das Finanzamt über die Pfändung des Bruttolohnes zu unterrichten.

 

Rz. 89

Der Arbeitnehmer ist nach § 38 Abs. 2 S. 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer. Dem Arbeitgeber ist als öffentlich-rechtliche Verpflichtung insoweit nur auferlegt, diese für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen, §§ 38 Abs. 3 S. 1, 41a EStG. Die Abführung des Lohnsteuerbetrages an das Finanzamt stellt damit eine Leistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer dar. Nichts anderes gilt für den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer, die nach § 41a EStG entsprechend der Lohnsteuer behandelt werden.

 

Rz. 90

Auf sein Arbeitsentgelt hat der Arbeitnehmer entsprechend §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 SGB IV Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten. Diese Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 28d SGB IV hat der Arbeitgeber an die nach §§ 28h, 28i SGB IV zuständige Einzugsstelle zu entrichten. Den Arbeitnehmeranteil an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen behält der Arbeitgeber dann als Anspruch gegen den Arbeitnehmer vom Arbeitslohn des Arbeitnehmers ein, §§ 28e Abs. 1 S. 1, 28g Abs. 1 S. 1 SGB IV. Insoweit erfüllt er seine Zahlungsverpflichtung aus einem Bruttolohntitel des Arbeitnehmers als Gläubiger gegen ihn.

 

Rz. 91

Hat der Arbeitgeber die auf den Bruttobetrag entfallende Lohnsteuer und die von dem Bruttolohn des Arbeitnehmers abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zum Zeitpunkt der Vollstreckungshandlung bereits vollständig oder teilweise abgeführt, so muss er die entsprechenden Zahlungen gegenüber dem Vollstreckungsorgan durch Vorlage der entsprechenden Quittung des Einzahlungsbeleges oder einem Überweisungsnachweises zunächst belegen.

 

Rz. 92

Das Vollstreckungsorgan wird wegen dieser abgeführten Beträge sodann die Zwangsvollstreckung nach § 775 Nr. 4 und 5 ZPO einstweilen einstellen. Da der Arbeitgeber mit der Abführung dieser Lohnbestandteile an die Finanzbehörden bzw. die Sozialversicherungsträger seine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer in dieser Höhe auf den Bruttolohn erfüllt hat.[81] Tatsächlich wird von dem Vollstreckungsorgan in dieser Konstellation also nur der Nettobetrag eingezogen. Das wird dem Arbeitnehmer im Zweifel recht sein, weil er anderenfalls den Verwaltungsaufwand der Abrechnung betreiben muss, was ohne – kostenpflichtige – Hilfe Dritter kaum zu gewährleisten ist.

 

Rz. 93

Hat der Arbeitgeber die Steuerbeträge der Sozialversicherungsabgaben noch nicht abgeführt, so erhält der Arbeitnehmer im Wege der Zwangsvollstreckung den Gesamtbruttobetrag. Der Arbeitnehmer selbst muss dann die Sozialversicherungsbeiträge und die Lohnsteuer an den Sozialversicherungsträger bzw. die Finanzbehörde abführen.[82]

 

Rz. 94

 

Praxishinweis

Kommt der Arbeitnehmer dieser Abführungspflicht nicht nach und muss der Arbeitgeber aufgrund seiner öffentlich-rechtlichen Abführungspflicht diese Beträge erneut entrichten, so haftet ihm der Arbeitnehmer[83] nach § 826 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung auf Ersatz dieser Beträge. Damit trägt allerdings der Arbeitgeber das Liquiditätsrisiko des Arbeitnehmers. Weshalb der Arbeitgeber die entsprechenden Beträge immer unmittelbar abführen und den Weg über § 775 ZPO wählen sollte.

 

Rz. 95

Hat das Vollstreckungsorgan die Zwangsvollstreckung nach § 775 Nr. 4 und 5 ZPO wegen der vom Arbeitgeber abgeführten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern einstweilen eingestellt und begehrt der Schuldner gleichwohl den vollen Bruttobetrag, so ist dieser entsprechend der titulierten Forderung tatsächlich einzutreiben.

 

Rz. 96

Der Arbeitgeber kann sich dann mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO und dem materiell-rechtlichen Einwand der Erfüllung der Verpflichtun...

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