Rz. 546

Bestehen für eine Vielzahl versorgungsberechtigter Arbeitnehmer gleichlautende, individualrechtlich begründete Versorgungszusagen, sog. Gesamtzusagen bzw. vertragliche Einheitsregelung, scheitert die einzelvertragliche Änderung bereits unter praktischen Erwägungen, da es unwahrscheinlich ist, dass es dem Arbeitgeber gelingt, ausnahmslos jeden betroffenen Versorgungsberechtigten zur Zustimmung in die beabsichtigte Änderung zu bewegen (Griebeling, ZIP 1993, 1056).

 

Rz. 547

Eine durch Gesamtzusage oder vertragliche Einheitsregelung begründete und somit auf einzelvertraglicher Basis beruhende betriebliche Versorgungsordnung ist grds. gegen Verschlechterungen durch das Günstigkeitsprinzip geschützt (BAG v. 17.6.2003 – 3 ABR 43/02, DB 2004, 714). Günstigere arbeitsvertragliche Regelungen bleiben daher auch dann, wenn sie auf einer Gesamtzusage oder vertraglichen Einheitsregelung beruhen, ggü. einer nachträglichen verschlechternden Betriebsvereinbarung wirksam (BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, DB 1986, 2027 m.w.N.).

 

Rz. 548

Lediglich ausnahmsweise war bislang bei einer Gesamtzusage oder vertraglichen Einheitsregelung eine Ablösung durch eine "nachfolgende Betriebsvereinbarung" zulässig. Seit der Entscheidung des Großen Senats des BAG v. 16.9.1986 (GS 1/82, NZA 1987, 168) ist diese Gestaltungsmöglichkeit jedoch dahin gehend eingeschränkt, dass im Hinblick auf den kollektiven Bezug allgemeiner Arbeitsbedingungen ein sog. kollektiver Günstigkeitsvergleich vorgenommen werden muss.

 

Rz. 549

Hierbei hat der Große Senat zwischen umstrukturierenden und verschlechternden Betriebsvereinbarungen differenziert. Unter einer umstrukturierenden Betriebsvereinbarung versteht er eine Vereinbarung, "die im Vergleich zur vorhergehenden vertraglichen Einheitsregelung bei kollektiver Betrachtungsweise insgesamt für die Belegschaft nicht ungünstiger ist (Günstigkeitsprinzip)". Das bedeutet, dass der bisherige Dotierungsrahmen nicht angetastet werden darf. Die umstrukturierende Betriebsvereinbarung kann somit lediglich andere Verteilungsmaßstäbe setzen und unpraktikable Regelungen auf den neuesten Stand bringen. Derartige umstrukturierende Betriebsvereinbarungen sind nicht zu beanstanden, wenn sie die Besitzstände der betroffenen Arbeitnehmer wahren und den Grundsätzen von Recht und Billigkeit entsprechen.

 

Rz. 550

Differenzierter ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn durch eine neue Betriebsvereinbarung die bisher bestehende vertragliche Einheitsregelung insgesamt verschlechtert werden soll. Hierbei wird das Günstigkeitsprinzip im Allgemeinen verletzt. Ein derartiger Eingriff in ein bestehendes Versorgungswerk ist nur insoweit zulässig, als die vertragliche Rechtsposition in ihrem Bestand (noch) nicht geschützt ist. Eine entsprechend "schutzlose" Rechtsposition des Arbeitnehmers ist bei einer bereits bei Zusageerteilung vorbehaltenen späteren Ablösung ebenso anzunehmen wie bei einem späteren Wegfall der bei Zusageerteilung zugrunde gelegten Geschäftsgrundlage (BAG v. 26.4.1988 – 3 AZR 277/87, NZA 1989, 305; vgl. auch Hanau/Preis, RdA 1988, 69; Langohr-Plato, MDR 1994, 855). Hiermit begrenzt das BAG die Regelungsbefugnis in Fällen "verschlechternder" Ablösungen auf Fallgestaltungen, in denen es dem Arbeitgeber individualarbeitsrechtlich erlaubt wäre, seine Versorgungszusage zu widerrufen oder eine Anpassung des Versorgungsversprechens an ein rechtlich oder wirtschaftlich verändertes Umfeld zu verlangen.

 

Rz. 551

Allerdings können individualrechtliche Versorgungszusagen mit kollektivem Bezug dann unter Kürzung des gesamten Dotierungsrahmens durch eine verschlechternde Betriebsvereinbarung modifiziert werden, wenn sie "betriebsvereinbarungsoffen" sind. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Gesamtzusage einen entsprechenden ausdrücklichen Vorbehalt enthält, dass eine spätere Betriebsvereinbarung den Vorrang haben soll (BAG v. 12.8.1982 – 6 AZR 1117/79, NJW 1983, 68; BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, DB 1987, 383; Doetsch, DB 1993, 981, 985; Langohr-Plato, MDR 1994, 855).

 

Rz. 552

Nach neuerer Rechtsprechung des BAG (10.3.2015 – 3 AZR 56/14, NZA-RR 2015, 371) ist diese Betriebsvereinbarungsoffenheit aber auch ohne einen solchen Vorbehalt grundsätzlich zu unterstellen. Der Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Wege einer Gesamtzusage verspricht, will diese nach einheitlichen Regeln, d.h. als generelles System, erbringen. Da die Geltung der Regelungen auf einen längeren, unbestimmten Zeitraum angelegt ist, sind diese von vornherein auch für die Begünstigten erkennbar einem möglichen künftigen Änderungsbedarf ausgesetzt. Ein solches System darf somit nicht erstarren. Der Arbeitgeber sagt daher mit einer Gesamtzusage im Regelfall nur eine Versorgung nach den jeweils bei ihm geltenden Versorgungsregeln zu. Nur so wird eine einheitliche Anwendung der Versorgungsordnung auf alle Arbeitnehmer und Versorgungsempfänger des Arbeitgebers, für die die Versorgungsordnung gelten soll, sichergestellt. Soll sich die Versorgung dagegen aussch...

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