Rz. 17

Der Aufenthaltsstaat darf keine eigenen Ermittlungen dazu anstellen und beurteilen, ob das Wohnsitzerfordernis eingehalten worden ist. Der Aufenthaltsstaat darf aber bei Behörden des Ausstellerstaates nachfragen, ob der Betroffene dort mit Wohnsitz gemeldet war und sich ggf. zu den Umständen der Führerscheinerteilung erkundigen. Das ist auch über eine Anfrage etwa beim Gemeinsamen Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit möglich.[50]

 

Rz. 18

Das darf aber nicht "ins Blaue hinein" erfolgen, sondern hängt mit Blick auf den gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz davon ab, dass ernstliche Zweifel an der Einhaltung dieses Prinzips bestehen.[51] Solche ernstlichen Zweifel können sich

aus der Vorhaltung zweier Wohnsitze (im Aufenthalts- wie Ausstellerstaat) ergeben,
wenn der Betroffene seine angebliche Adresse im Ausstellerstaat nicht richtig benennen konnte,
der Ausstellermitgliedstaat erklärt, das Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes dort nicht geprüft zu haben,
ein Widerspruch zwischen Eindruck des Wohnsitzes und den Angaben über den Wohnsitz in den Führerscheinakten des Ausstellerstaates besteht oder
auch aus dem Umstand, dass im Melderegister des Ausstellerstaates ein Aufenthalt nur für Zeiten vor bzw. nach Ausstellung des Führerscheins ausgewiesen wird.[52]
Selbst der Eindruck eines im Ausstellerstaat gelegenen Wohnsitzes berechtigt zur Überprüfung, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass dieser Eintrag unzutreffend sein könnte.[53]
 

Rz. 19

Wenn den vom Ausstellerstaat herrührenden Informationen "Indizcharakter" für die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses zukommt, findet die weitere Prüfung, ob tatsächlich ein Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip vorliegt, unter Einbeziehung aller Umstände statt. Als unbestreitbar gelten die Informationen, wenn unter Heranziehung nur dieser aus dem Ausstellerstaat stammenden Informationen das Fehlen eines Wohnsitzes in diesem Staat so sehr wahrscheinlich ist, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt.[54] Letztlich läuft das auf eine Beweiswürdigung der deutschen Fahrerlaubnisbehörde oder des deutschen Verwaltungsgerichts hinaus. Allein die Meldung im Ausländerregister begründet noch nicht die Annahme eines Wohnsitzes im Sinne der Führerscheinrichtlinie, wenn daraus nicht die Aufenthaltsdauer entnommen werden kann (wie in der Tschechischen Republik). Von besonderer Bedeutung sind die Auskünfte des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Schwandorf, die als vom Ausstellerstaat herrührende Informationen gelten. Insbesondere der Charakter der Meldeadresse – Pension – kann gegen die Annahme eines Wohnsitzes gewertet werden. Das gilt auch für die Einlassungen des Betroffenen hierzu.[55] Die alleinige melderechtliche Information über eine Anmeldung im Ausstellerstaat ohne Kenntnis über die tatsächlichen Wohnverhältnisse bei gleichzeitig in Deutschland beibehaltenem Wohnsitz sind ein Hinweis darauf, dass sich der Betroffene nur für ganz kurze Zeit im Ausstellerstaat aufgehalten und dort einen Scheinwohnsitz begründet hat. Das gilt auch, wenn der Ausstellerstaat einen Wohnsitz von über einem halben Jahr ausdrücklich bestätigt hat.[56] Die Auskunft auf die Frage, ob ein Wohnsitz im Ausstellerstaat bestanden habe, mit "unknown" oder "unbekannt" wird uneinheitlich bewertet.[57] Das deutet jedoch darauf hin, dass kein Wohnsitz im Ausstellerstaat begründet wurde.

[50] Vgl. VGH BW v. 27.10.2009, zfs 2010, 58.
[52] Siehe hierzu Koehl, DAR 2013, 241/244; ders., DAR 2012, 446/449.
[53] NdsOVG, Beschl. v. 12.11.2013 – 12 ME 188/13, DAR 2014, 44; VGH BW, Beschl. v. 7.7.2014 – 10 S 242/14, BA 51 (2014), 287; BayVGH, Urt. v. 25.3.2013 – 11 B 12.1068.
[54] BayVGH, Beschl. v. 20.10.2014 – 11 CS 14.1688, juris Rn 23; Koehl, DAR 2016, 186/189.
[55] Zum Ganzen: VGH BW, Beschl. v. 7.7.2014 – 10 S 242/14, NJW 2014, 3049, juris Rn 13 ff.
[56] OVG RLP, Beschl. v. 15.1.2016 – 10 B 11099/15.OVG, DAR 2016, 218, juris.
[57] Kein Wohnsitz: VG Neustadt, Urt. v. 25.1.2016 – 3 K 756/15.NW; BayVGH, Beschl. v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634; a.A. VG Köln, Beschl. v. 2.11.2015 – 23 L 2465/15: Es könne aus dieser Mitteilung nicht entnommen werden, dass keine Verbindungen in den Ausstellerstaat bestanden hätten; Koehl, DAR 2016, 186/189.

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