Rz. 215

Soweit dabei verschlüsselte Zeugnisformulierungen verwendet werden, handelt es sich um ständig wiederkehrende floskelhafte Sätze, die wohlwollender klingen, als sie gemeint sind (BAG v. 12.8.1976, AP Nr. 11 zu § 630 BGB m. Anm. Schleßmann = EzA § 630 BGB Nr. 7). Sie sind durch die Ambivalenz, ein Zeugnis zwar wohlwollend, aber dennoch wahr zu gestalten, wenn negative Eigenschaften vorhanden sind, entstanden, mit anderen Worten, der Zeugnistext ist doppelbödig und enthält zwei Nachrichten: eine für den Beurteilten und die eigentliche für den möglichen künftigen Arbeitgeber oder Kreditgeber (Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2 f. m.w.N.).

 

Rz. 216

Der betroffene Arbeitnehmer glaubt in diesen Fällen, dass seine Leistungen gebührend gewürdigt seien, jedoch ist sein Bedürfnis nur scheinbar befriedigt: Er weiß weder, dass auch die positiven Formulierungen Disqualifikationen darstellen können, noch kennt er den Informationswert, den das Zeugnis anhand der nicht erwähnten Tatsachen enthält. Die scheinbar lobenden Bemerkungen lassen ihn ferner glauben, er habe für die künftigen Bewerbungen oder Kreditgesuche eine gute Empfehlung zur Hand. Der Leser darf nicht harmlosen oder positiv klingenden Formulierungen aufsitzen (Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2 f. m.w.N.), noch dürfen negative Eigenschaften durch die Wort- und Ausdruckswahl in ihr Gegenteil verkehrt werden, sodass z.B. einem Metzgerlehrling, der Knochen entwendet hat, nicht bescheinigt werden darf, er sei "getreu bis auf die Knochen" (Bischoff, Die Haftung ggü. Dritten für Auskünfte, Zeugnisse und Gutachten, § 9 V 1, S. 215, m.w.N.).

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