Rz. 89

Wegen der Wahrheitspflicht hat der Arbeitgeber Unterbrechungen, die einen erheblichen Teil des Arbeitsverhältnisses ausmachen, im Zeugnis zu erwähnen. Das berechtigte Informationsinteresse des potenziellen neuen Arbeitgebers bezieht sich dabei nicht auf gewöhnliche Ausfallzeiten kürzerer Dauer wie z.B. Erkrankungen (bis zur Dauer von 12 Wochen), Urlaub, Wehrübungen, Pflegezeiten und Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG. Anders kann dies bei längeren Unterbrechungen von ein bis zwei Jahren sein, die bspw. durch Eltern- oder Pflegezeit bzw. durch Wehr- oder Bundesfreiwilligendienst verursacht sein können. Der 9. Senat des BAG geht auch hier von einer grundsätzlichen Unstatthaftigkeit der Erwähnung dieser Ausfallzeiten im Zeugnis aus. Für seine Begründung nimmt er die "zweiseitige Zielsetzung" eines Zeugnisses zum Ausgangspunkt, inhaltlich der Wahrheit zu entsprechen und zugleich das weitere Fortkommen des Arbeitnehmers nicht ungerechtfertigt zu erschweren. Merkmale ohne Bezug zur arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung seien nicht zu berücksichtigen, das Maßregelungsverbot des § 612a BGB sei zu beachten. Daraus leitet der 9. Senat des BAG (10.5.2005 – 9 AZR 261/04, AP Nr. 30 zu § 630 BGB m. krit. Anm. Schleßmann = NZA 2005, 1237; krit. Range-Ditz, ArbRB 2005, 356; ausf. Mühlhausen, NZA-RR 2006, 337 ff.) ab, die (wahre) Tatsache über die Zeit der Nichtbeschäftigung werde auch hier i.d.R. durch den Nachteil überlagert, dass ein potenzieller Arbeitgeber befürchten könnte, der Bewerber werde möglicherweise auch zukünftig erneut aus demselben Grund ausfallen. Die Inanspruchnahme von Elternzeit als solche hindere auch nicht zwingend die Beurteilung der geschuldeten Arbeitsleistung (BAG v. 10.5.2005, AP Nr. 30 zu § 630 BGB).

 

Rz. 90

Im Arbeitsrecht im Allgemeinen und im Zeugnisrecht im Besonderen gibt es keine Regel ohne Ausnahme: Wenn die Ausfallzeiten nach Lage und Dauer erheblich sind und ihre Nichterwähnung bei Dritten den Eindruck erweckt, die Beurteilung beruhe auf tatsächlichen Beschäftigungszeiten, die der rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen entsprechen, gebietet es der Zeugniszweck, dass der Arbeitgeber das Verhältnis zwischen diesen Zeiträumen im Zeugnis klarstellt (BAG v. 10.5.2005, AP Nr. 30 zu § 630 BGB). Dabei könnten schematische Grenzen über die Dauer der Ausfallzeit nicht gezogen werden. Es komme auf die Umstände des Einzelfalles an. Deshalb sei auch nicht schematisch auf ein Verhältnis der Ausfallzeit zur Gesamtzeit des Arbeitsverhältnisses abzustellen. So mache es einen Unterschied, ob die Ausfallzeit zu Beginn oder zum Ende eines Arbeitsverhältnisses gewesen sei. Dementsprechend legt sich der 9. Senat des BAG auf eine bestimmte Grenze, ab der Ausfallzeiten als erheblich anzusehen sind, nicht fest, sodass in die vorzunehmende Einzelfallabwägung einzustellen sind:

 

Rz. 91

das Verhältnis von Dauer des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses zur Dauer der Ausfallzeit,
die Lage der Ausfallzeit (je näher die Ausfallzeit zum Ende des Arbeitsverhältnisses hin liegt, desto mehr ist die Aussage zum aktuellen Leistungsstand eingeschränkt; liegt sie länger zurück, verliert sie für die Beurteilung an Relevanz),
die Bedeutung der Zeugnisaussagen für die Einschätzung der im Arbeitsverhältnis erworbenen Berufserfahrung und/oder das Verhalten des Arbeitnehmers,
das Fehlen der Beurteilungsgrundlage wegen des zeitlichen Umfanges des Arbeitsausfalles.
 

Rz. 92

Mit diesen verdienstvoll herausgearbeiteten Grundsätzen des 9. Senates des BAG werden allerdings keine klaren Vorgaben für die Erwähnung der Elternzeit gemacht (Range-Ditz, ArbRB 2005, 356). Grds. ist dem 9. Senat des BAG zwar zuzustimmen, wenn er in diesem Zusammenhang ausführt, dass Unwesentliches verschwiegen werden dürfe (BAG v. 10.5.2005, AP Nr. 30 zu § 630 BGB). Es geht aber nicht darum, ob der Aussteller ein Recht zur Lüge hat. Derartige Begriffsverirrungen aus dem Bereich des Fragerechts des Arbeitgebers bei Einstellungsgesprächen (Münchhausen, NZA-RR 2006, 337, 339, m.w.N. in Fn 26) haben wegen des Grundsatzes der Zeugniswahrheit hier nichts verloren. Vielmehr muss die Grenze zwischen (unzulässiger) Lüge und (berechtigtem) Verschweigen der Wahrheit gezogen werden (Münchhausen, NZA-RR 2006, 337, 339). Für die Beantwortung der Frage, ob die in Rede stehende Unterbrechung die gesamte Beschäftigung noch mitprägt (Münchhausen, NZA-RR 2006, 337, 340, unter Hinweis auf Schleßmann, BB 1988, 1320, 1322), muss aber stets im Blick behalten werden, dass es darum geht, ob vom Grundsatz der Zeugniswahrheit abgewichen werden darf, ob also beim Zeugnisleser bewusst ein unzutreffender Eindruck von der Berufserfahrung des Bewerbers hervorgerufen werden darf. Daher sind weitere Umstände in die Überlegungen einzubeziehen. Ausfallzeiten wiegen umso schwerer, je näher sie – wie im Entscheidungsfall – zum Ende des Arbeitsverhältnisses hin aufgetreten sind (Münchhausen, NZA-RR 2006, 337).

 

Rz. 93

Im Entscheidungsfall befand sich der Arbe...

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