Rz. 123

Art. 6 EGBGB schreibt als Rechtsfolge eines ordre public-Verstoßes vor, dass die entsprechende ausländische Rechtsnorm nicht angewendet bzw. nicht beachtet werden darf. Hieraus resultiert freilich eine Lücke.[274] Wie diese zu füllen ist, verrät Art. 6 EGBGB nicht. Möglich wäre es in einem solchen Fall, die entstandene Lücke schlicht und einfach durch Rückgriff auf das jeweilige deutsche Recht zu beseitigen. Dies wird jedoch von der Rechtsprechung abgelehnt. Vielmehr soll nach Auffassung des BGH versucht werden, die entstandene Regelungslücke nach Möglichkeit mit dem jeweiligen Heimatrecht zu schließen.[275] Nur hilfsweise soll auf deutsches Recht zurückgegriffen werden.[276] Es gilt der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs.[277] Im oben beschriebenen Fall des BGH aus dem Jahre 2022 wurden dem enterbten Pflichtteilsberechtigten die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche nach dem deutschen Pflichtteilsrecht zugestanden. In diesem Fall griff der BGH also auf deutsches nationales Erbrecht zurück.[278]

[274] Mörsdorf, in: Prütting/Wegen/Weinreich, Art. 6 EGBGB Rn 18.
[275] Grüneberg/Thorn, Art. 6 EGBGB Rn 13.
[276] BGH FamRZ 1993, 316–318; BGH NJW 1993, 848–850.
[277] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 16 VI, S. 538; Süß/Süß, Erbrecht in Europa, § 5 Rn 26.
[278] BGHZ 234,166; NJW 2022, 2547; DNotZ 2023, 37.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge