Rz. 117

Der Vorbehalt des ordre public ist in Deutschland in Art. 6 EGBGB normiert. Danach ist die Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die jeweilige Norm ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Dieser Vorbehalt gilt auch im internationalen Erbrecht.[262]

 

Rz. 118

In der Europäischen Erbrechtsverordnung (EU) 650/2012) als auch in der Europäischen Güterrechtsverordnung (EU) 2016/1103) ist der Vorbehalt des ordre public geregelt. Art. 35 EuErbVO bzw. Art. 31 EuGüVO gestatten die Nichtanwendung einer Vorschrift des nach der Verordnung beschriebenen Rechts eines anderen Staates, wenn ihre Anwendung nicht mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts vereinbar ist.[263]

 

Rz. 119

Zu den Grundsätzen des ordre public gilt es noch auszuführen, dass es international anerkannt ist, dass der Vorbehalt der Grundwerte einer jeweiligen Rechtsordnung einen ganz elementaren Bestandteil des jeweiligen Kollisionsrechts darstellt. Insoweit gilt dies nicht nur für das deutsche Internationale Privatrecht nach Art. 6 EGBGB, sondern freilich auch für das nunmehr einheitliche internationale Kollisionsrecht nach Art. 35 EuErbVO.[264]

 

Rz. 120

Vereinfacht ausgedrückt lässt sich also sagen, dass sich im jeweiligen ordre public eines Landes die grundlegenden inländischen Wertvorstellungen widerspiegeln und ein Verstoß gegen diesen ein Verstoß gegen wesentliche innerstaatliche Rechtsgrundsätze bedeutet. Bezüglich der Gewichtung und Einordnung eines möglichen Verstoßes wurde der nachfolgende Merksatz formuliert: Je stärker der Inlandsbezug ist, umso größeres Gewicht haben deutsche Wertvorstellungen. Je geringer der Inlandsbezug ist, umso größer muss der Verstoß sein.[265] Für den EuGH zählen zum ordre public auch nationale Vorschriften, sodass dies für deutsche Gerichte bedeutet, dass sie auch bei Erbfällen nach dem 17.8.2015, also nach Einführung der EuErbVO, die bislang geltende Rechtsprechung zum ordre public heranziehen können.[266]

 

Rz. 121

Historisch im Brennpunkt eines ordre public-Verstoßes war seinerzeit das sowjetische Erbrecht, das zunächst kein Verwandtenerbrecht kannte. Auch in erbrechtlichen Vorschriften anderer sozialistischer Staaten wurde das Verwandtenerbrecht oft stark eingeschränkt.[267] Aktuell im Brennpunkt befinden sich die islamischen Erbrechtsordnungen, dort insbesondere die geschlechterspezifische Ungleichbehandlung von Frauen als Erben.[268]

[262] Hohloch/Heckel, in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, Kap. 26 Rn 66.
[263] Süß/Süß, Erbrecht in Europa, § 5 Rn 1.
[264] Süß/Süß, Erbrecht in Europa, § 5 Rn 4.
[265] BVerfG v. 18.7.2006, NJW 2007, 900, 903; BGH v. 4.6.1992, NJW 1992, 3096, 3105 ff.
[266] Erman/Hohloch (2014), Art. 35 EuErbVO Rn 1; Wumnest, in: Leible/Unterath, Rom 0-Verordnung, S. 460.
[267] Hohloch/Heckel, in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, Kap. 26 Rn 67.
[268] Hohloch/Heckel, in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, Kap. 26 Rn 66.

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