Rz. 748

Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG bildet bereits das Zustandekommen des einen Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründenden Verpflichtungsgeschäfts einen Erwerbstatbestand. Auf diese Weise wird die Besteuerung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorverlagert und damit – in zeitlicher Hinsicht – von der Erfüllung des schuldrechtlichen Geschäfts (zivilrechtlicher Eigentumsübergang) entkoppelt. Maßgeblich für die Tatbestandsverwirklichung ist im Bereich des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG lediglich, dass die schuldrechtliche Verpflichtung selbst rechtlich wirksam ist bzw. wird.[1146]

 

Rz. 749

Hauptanwendungsfall von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist – wie das Gesetz bereits ausdrücklich ausführt – der Abschluss eines Kaufvertrages. Dieselben Grundsätze gelten jedoch auch für andere Rechtsgeschäfte, die einen Übereignungsanspruch im Hinblick auf ein Grundstück – formwirksam – begründen, beispielsweise Schenkungs- oder Tauschverträge.

 

Rz. 750

Wird der durch Kauf- oder ähnlichen Vertrag erworbene Übereignungsanspruch (vor seiner Erfüllung) vom Berechtigten abgetreten, bildet auch diese Abtretung einen Erwerbsvorgang im Sinne des Grunderwerbsteuergesetzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG). Dasselbe gilt nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG auch für solche Fälle, denen der Übereignungsanspruch – ohne vorherigen Abschluss eines entsprechenden schuldrechtlichen Vertrages – (weiter) abgetreten wird. Die Verwirklichung grunderwerbsteuerrechtlich relevanter Erwerbsvorgänge erfordert nämlich nicht, dass der Veräußerer im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung (insbesondere bei § 1 Abs. 1 Nr. 5 und 6 GrEStG) bereits Eigentümer des in Rede stehenden Grundbesitzes ist.

 

Rz. 751

Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt – wie bereits angedeutet – den Abschluss eines wirksamen (auch formwirksamen) Vertrages voraus, da nur ein solcher dem Erwerber einen Anspruch auf Übereignung verschaffen kann.[1147] Auch ein Vorvertrag kann den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllen, wenn aus ihm bereits auf die Erklärung der Auflassung (und nicht nur auf Abschluss des eigentlichen Verpflichtungsgeschäfts) geklagt werden kann.[1148] Nicht ausreichend ist jedoch die Vereinbarung einer Kaufoption, da hiermit regelmäßig keine Bindung für beide Vertragsteile verbunden ist.[1149]

 

Rz. 752

Der Übereignungsanspruch muss sich auf ein ausreichend individualisiertes Grundstück beziehen;[1150] Des Weiteren bedarf es einer ausreichend konkreten Bestimmung der Gegenleistung (soweit eine solche vereinbart ist, nicht z.B. bei Schenkungsverträgen).

 

Rz. 753

Ein Vertrag im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG kann auch ein Erbschaftskaufvertrag (§§ 2371 ff. BGB) sein. Denn er verpflichtet den Verkäufer zur Übertragung der einzelnen zur Erbschaft gehörenden Gegenstände und ist damit – soweit zum Nachlass auch Grundbesitz gehört – auch auf die Übereignung von Grundbesitz gerichtet.[1151] Gleiches gilt für den Erwerb eines Vorerbenrechts verbunden mit dem Erwerb der Nacherbenanwartschaftsrechte.[1152]

 

Rz. 754

Weiterhin gehören zu den Verträgen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auch Schenkungsverträge sowie Übergabeverträge bzw. sonstige Vereinbarungen zur Regelung der vorweggenommenen Erbfolge.[1153] Dasselbe gilt auch für Einbringungsverträge bei der Gründung einer Kapital- oder Personengesellschaft, wenn dem Einbringenden als Gegenleistung für die Übereignung seines Grundbesitzes Gesellschaftsrechte gewährt werden.[1154] Dieselben Grundsätze sind auch anwendbar, wenn ein Grundstück im Zuge einer Kapitalerhöhung gegen die Rechnung von Gesellschaftsrechten eingebracht wird.

[1148] BFH v. 31.5.1972 – II R 162/66, BStBl II 1972, 828; BFH v. 27.1.1972 – II R 73/65, BStBl 1972, 496.
[1149] Vgl. Viskorf/Meßbacher-Hönsch, GrEStG, § 1 Rn 284 f.
[1151] Vgl. Viskorf/Meßbacher-Hönsch, GrEStG, § 1 Rn 291.
[1152] Allerdings nicht der bloße Erwerb des Nacherbenanwartschaftsrechts, da mit diesem bis zum Nacherbfall keine Verfügungsbefugnis verbunden ist; Viskorf/Meßbacher-Hönsch, GrEStG, § 1 Rn 292.
[1153] Vgl. Viskorf/Meßbacher-Hönsch, GrEStG, § 1 Rn 297.
[1154] BFH v. 22.6.1961 – II 227/59, U BStBl III 1961, 213; Viskorf/Meßbacher-Hönsch, GrEStG, § 1 Rn 302.

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