Rz. 847

Wer als Arbeitgeber in seinem Betrieb in größerem Umfang – aus welchen Gründen auch immer – Personal abbauen muss, sollte mit den Vorschriften des dritten Abschnittes des KSchG bestens vertraut sein. Die Kenntnis der §§ 1722 KSchG über "anzeigepflichtige Entlassungen" ist elementar. Eine nicht oder nicht ordnungsgemäß erstattete Anzeige von Massenentlassungen führt ebenso zur Unwirksamkeit der in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Kündigungen wie Fehler bei der Durchführung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 BetrVG (vgl. BAG v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, NZA 2013, 966).

 

Rz. 848

Die Vorschriften über "anzeigepflichtige Entlassungen" haben durch die Junk-Entscheidung des EuGH v. 27.1.2005 (C 188/03, NZA 2005, 213 = DB 2005, 453) ihr Schattendasein verloren und eine erhebliche praktische Bedeutung erhalten. Das BAG hatte in st. Rspr. Unter Entlassung i.S.d. §§ 17 ff. KSchG nicht schon die Kündigung, sondern die mit ihr beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden (BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 144). Gegenüber diesem tradierten, auf den Beendigungszeitpunkt abstellenden Verständnis des Entlassungsbegriffes, legt der EuGH seit der zuvor zitierten Junk-Entscheidung, die Art. 24 der RL 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin aus, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als Entlassung gilt. Das BAG ist dieser Rechtsauffassung gefolgt und versteht unter "Entlassung" i.S.d. §§ 17 ff. KSchG nunmehr ebenfalls die Erklärung der Kündigung selbst (BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971 = DB 2006, 1902; BAG v. 13.7.2006, NZA 2007, 25 = DB 2006, 2820; BAG v. 22.3.2007, NZA 2007, 1101 = DB 2007, 1596 L).

 

Rz. 849

Zu Recht hat das BAG den Arbeitgebern, die Massenentlassungsanzeigen nach der bisherigen Rechtslage, d.h. bezogen auf den Zeitpunkt der durch die Kündigung bewirkten tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, abgegeben haben, für eine Übergangszeit Vertrauensschutz zugebilligt (BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971 = DB 2006, 1902; BAG v. 13.7.2006, NZA 2007, 25 = DB 2006, 2820; BAG v. 22.3.2007, NZA 2007, 1101 = DB 2007, 1596 L). Das Vertrauen auf die bisherige Rechtslage ist allerdings nur bis zur Bekanntmachung der im Anschluss an das Urteil des EuGH v. 27.1.2005 geänderten Rechtsauffassung der Arbeitsverwaltung als schützenswert angesehen worden (BAG v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25 = DB 2006, 2820; BAG v. 22.3.2007, NZA 2007, 1101 = DB 2007, 1596 L). Nachdem die BA der Rspr. des EuGH folgend ihre DA im Juli 2005 richtlinienkonform dahin geändert hat, dass sich fortan die Anzeigepflicht auf den Kündigungszeitpunkt bezieht, und ein entsprechendes "Merkblatt 5, Stand Juli 2005" aufgelegt hat, dürfte spätestens seitdem das Vertrauen auf die bisherige Handhabe der Massenentlassungsanzeige nicht mehr schützenswert sein (vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 17 KSchG Rn 129).

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