(1) Frühere Rechtsprechung

 

Rz. 358

Nach der früheren Rspr. des BAG war zwischen Störungen im Leistungs-, Vertrauens- und Betriebsbereich zu unterscheiden. Danach war eine Abmahnung grds. erforderlich bei Störungen im Leistungsbereich, bspw. bei der Schlechtleistung der Arbeit oder der Verletzung von Nebenpflichten (BAG v. 25.4.1996, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung; BAG v. 13.6.1996, AP Nr. 33 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Ausnahmsweise war eine Abmahnung bei Störungen im Leistungsbereich entbehrlich, wenn besondere Umstände vorlagen, aufgrund deren eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden konnte, bspw. wenn ein Arbeitnehmer durch sein Verhalten zeigte, dass er nicht gewillt war, sich vertragsgerecht zu verhalten (BAG v. 4.6.1997, AP Nr. 138 zu § 626 BGB m. Anm. Felderhoff) oder bei besonders groben Pflichtverletzungen, bei denen dem Arbeitnehmer sein vertragswidriges Verhalten ohne weiteres erkennbar war und er mit einer Billigung durch den Arbeitgeber nicht rechnen konnte, z.B. wenn er arbeitsunfähig krank war und dennoch bei einem anderen Arbeitgeber in Nachtschicht arbeitete (BAG v. 26.8.1993, AP Nr. 112 zu § 626 BGB m. Anm. Berking).

 

Rz. 359

Bei Störungen im Vertrauensbereich (z.B. Unterlassen strafbarer Handlungen) war eine Abmahnung grds. entbehrlich (BAG v. 13.6.1996, AP Nr. 33 zu § 1 KSchG). Dasselbe gilt auch für Störungen im Betriebsbereich (z.B. Verhalten des Arbeitnehmers ggü. Vorgesetzten und Kollegen, namentlich das Unterlassen von Beleidigungen und Tätlichkeiten, vgl. BAG v. 12.3.1987, AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG).

(2) Heutige Rechtsprechung

 

Rz. 360

Seit der grundlegenden Entscheidung des BAG v. 4.6.1997 (AP Nr. 137 zu § 626 BGB m. Anm. Felderhoff) wird eine Abmahnung vor Ausspruch jeder Kündigung für erforderlich gehalten, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG v. 4.6.1997, AP Nr. 137 zu § 626 BGB; BAG v. 10.2.1999, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG; BAG v. 9.2.2006, EzA § 308 BGB 2002 Nr. 3). Mit dieser Rspr. wurde die frühere Differenzierung nach Störbereichen aufgegeben und die Prüfung aller Abmahnungen anhand der Maßstäbe vorgenommen, die für Kündigungen wegen Störungen im Leistungsbereich gelten (BAG v. 10.2.1999, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG). Beruht die Vertragspflichtverletzung also auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG v. 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, Rn 16; BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 186/11, Rn 22, BAG NJW 2013, 104; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 284/10, Rn 35, BAG EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Sowohl eine ordentliche als auch eine außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Eine solche ist nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann entbehrlich, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG v. 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, Rn 16; BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 186/11, Rn 22; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 284/10, Rn 35). Dies bedeutet, dass bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen auf eine Abmahnung jedenfalls dann verzichtet werden kann, wenn trotz einer Abmahnung nicht erwartet werden kann, dass sich das Verhalten des Arbeitnehmers in Zukunft ändern wird (BAG v. 19.4.2007, NZA-RR 2007, 571, 576), oder der Arbeitnehmer sich eine schwere Pflichtverletzung hat zuschulden kommen lassen, deren Rechtswidrigkeit ihm ohne Weiteres erkennbar und deren Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen war (BAG v. 12.1.2006, EzA § 1 KSchG 2001 Nr. 67; BAG v. 19.4.2007, NZA-RR 2007, 571, 576; BAG v. 31.5.2007, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71).

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