Rz. 69

Den letzten Anknüpfungspunkt des Art. 8 VO 1259/2010 bildet die lex fori. Ist nach einem der vorangehenden Buchstaben nicht zu klären, welches Recht auf die Scheidung (und deswegen auch auf den Versorgungsausgleich anzuwenden ist, ist das anwendbare Recht dasjenige des angerufenen Gerichts (Art. 8 Buchst. d VO 1259/2010).

 

Rz. 70

 

Beispiel

Der Franzose M und die Luxemburgerin F heiraten in Deutschland, nachdem sie sich im Urlaub in der Türkei kennen gelernt haben. Eine eheliche Lebensgemeinschaft nehmen sie nicht auf, weil M unmittelbar nach der Trauung verhaftet und an Frankreich ausgeliefert wird, wo er zu einer langen Strafhaft verurteilt wird. In diesem Fall haben die Eheleute weder einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat, noch einen früheren gemeinsamen Aufenthalt noch eine gemeinsame Staatsangehörigkeit. Wird ein deutsches Gericht bei einer Scheidung angerufen, wird dieses deswegen zu dem Ergebnis kommen, dass auf den Versorgungsausgleich deutsches Recht anzuwenden ist. Gleichwohl findet ein Versorgungsausgleich nur auf Antrag und unter den Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB statt, weil weder das französische noch das luxemburgische Recht einen Versorgungsausgleich kennen.

 

Rz. 71

Die Anknüpfung an die lex fori übt in derartigen Fällen einen starken Anreiz zum forum shopping aus. Sind Gerichte mehrerer Staaten zuständig, kann durch die geschickte Auswahl des Gerichts das auf die Scheidung anwendbare Recht bestimmt werden und damit neben der Wahl der günstigsten Scheidungsvoraussetzungen auch gesteuert werden, ob ein Versorgungsausgleich von Amts wegen, nur auf Antrag oder gar nicht durchgeführt wird. Die Regelung für isolierte Versorgungsausgleichsverfahren (§ 102 FamFG) enthält drei verschiedene Anknüpfungsregeln, die zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte führen und § 98 Abs. 2 FamFG bestimmt für das Verbundverfahren, dass die deutschen Gerichte bei bestehender internationaler Zuständigkeit für die Scheidungssache auch dann für die Folgesachen zuständig sind, wenn für diese in Anwendung der §§ 99 ff. eine isolierte internationale Zuständigkeit nicht gegeben ist. Damit richtet sich die internationale Zuständigkeit insoweit nach der VO 2201/2003 (Brüssel IIa), die in ihrem Art. 3 eine Reihe von alternativen Anknüpfungspunkten enthält, aus denen die Zuständigkeit für das Scheidungsverfahren folgen kann. Daraus wird sich in vielen Fällen die konkurrierende internationale Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Länder ergeben. Wer dann den ersten Antrag stellt, bestimmt damit in den Fällen des Art. 8 Buchst. d VO 1259/2010, welches Recht auf Scheidung und Versorgungsausgleich angewendet wird. Ist dieses nicht das deutsche Recht, kommt ein Versorgungsausgleich von Amts wegen nicht in Betracht. Nur auf Antrag eines der beiden Eheleute wird dann ein Versorgungsausgleich durchgeführt, wenn mindestens einer von ihnen Versorgungsanrechte in Deutschland erworben hat.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge