Rz. 68

Um zu verhindern, dass der Erblasser noch am Sterbebett durch Schenkungen an dritte Personen den Nachlass aushöhlt, hat der Gesetzgeber den Pflichtteilsergänzungsanspruch in § 2325 BGB normiert. Vereinfacht ausgedrückt wird alles das, was der Erblasser in den letzten 10 Jahren vor seinem Ableben weggeschenkt hat, fiktiv wieder in den Nachlass gezogen. Man tut so, als seien die verschenkten Werte noch im Nachlass. Der Erbe hat auch hieraus den Pflichtteilsanspruch zu bedienen (Pflichtteilsergänzungsanspruch). Gemäß § 2325 Abs. 3 BGB wird die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Sind 10 Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung komplett unberücksichtigt.

Pflichtteilsergänzungsberechtigt konnten nach den Senatsurteilen vom 21.6.1972[104] und vom 25.6.1997[105] aber bislang nur die Personen sein, die sowohl beim Erbfall als auch zum Zeitpunkt der Schenkung zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört haben. Hierbei wurde zwischen abstrakter und konkreter Pflichtteilsberechtigung unterschieden. Die fragliche Person musste beim Erbfall dem Kreis der konkret Pflichtteilsberechtigten zugehörig gewesen sein (§§ 2303, 2309 BGB). Zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung musste die Person dem Kreis der abstrakt Pflichtteilsberechtigten angehört haben.

 

Beispiel

Das Enkelkind, das zwar zum Zeitpunkt der Schenkung bereits existent war, aber beim Erbfall durch seinen vermittelnden Elternteil vom ordentlichen Pflichtteilsanspruch am Nachlass ausgeschlossen war, ist nicht pflichtteilsergänzungsberechtigt.[106]

 

Rz. 69

Mit Urt. v. 23.5.2012 hat der BGH[107] aber nun seine Abkehr von den genannten Senatsurteilen erklärt und festgestellt, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB nicht voraussetzt, dass die Pflichtteilsberechtigung bereits im Zeitpunkt der Schenkung bestand. Die Ergänzungspflicht nach § 2325 BGB umfasst demnach auch Schenkungen, die der Erblasser vor der Geburt des Pflichtteilsberechtigten vorgenommen hat. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergebe sich, so der BGH, dass es allein auf die Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Erbfalles ankomme. Ziel des § 2325 BGB sei es, ungeachtet gewandelter sozialer Verhältnisse, den nächsten Angehörigen des Erblassers ihre nach Art. 14, Art. 6 GG verfassungsrechtlich garantierte Teilhabe am Nachlass zu bewahren. Die zeitliche Befristung der Ausgleichspflicht in § 2325 Abs. 3 BGB lasse sich nicht für die Annahme heranziehen, die Vorschrift schütze primär eine Erberwartung. Eine Differenzierung der Ergänzungspflicht nach dem Bestehen eines Pflichtteilsrechts zum Zeitpunkt der Schenkung liefe zumindest bei nachgeborenen Angehörigen der gesetzgeberischen Entscheidung zuwider, die dem Erblasser nachfolgenden Stämme zu gleichen Teilen am Nachlass zu beteiligen. Die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Geburt sei zufällig und stehe mit dem Sinn und Zweck der Ausgleichspflicht in keinem Zusammenhang.

 

Rz. 70

Die Entscheidung hat der BGH für Abkömmlinge (Enkel) des Erblassers getroffen. Zu Recht weist Bonefeld[108] darauf hin, dass damit keinesfalls eine Gleichbehandlung für nachrückende Ehegatten gerechtfertigt wird. Vielmehr sprechen gewichtige Gründe für eine andere rechtliche Beurteilung der nachrückenden Ehegatten. Gerade aus § 2325 Abs. 3 BGB ergibt sich, dass Ehegatten weniger geschützt sind als Abkömmlinge. Demnach sind nämlich Zuwendungen an Ehegatten unabhängig von einer Zehnjahresfrist immer pflichtteilsergänzungspflichtig. Würde man also die Teilhabe des Ehegatten auf alle Zuwendungen ausdehnen, die der Erblasser innerhalb der letzten 10 Jahre nach Maßgabe des § 2325 BGB gemacht hat, und auch auf Kurzzeitehen erweitern, würde der Sinn und Zweck der Norm des § 2325 BGB überspannt. Der letzte Ehegatte könnte dann auch an Vermögen teilhaben, das zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht vorhanden war. Insbesondere könnte er auch an Zuwendungen an den vorherigen Ehegatten partizipieren. Die Ansprüche würden sich dann unter Umständen gegen die Abkömmlinge oder den vormaligen Ehegatten des Erblassers richten. Diese könnten dann sogar schlechter gestellt sein, da dem ersten Ehegatten als Zuwendungsempfänger keine Pflichtteilsergänzungsansprüche zugestanden hätten. Bonefeld nennt ein solches Ergebnis zu Recht abstrus und rechtspolitisch verfehlt.

 

Rz. 71

Zur Ermittlung der Pflichtteilsergänzungsquote ist immer auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen.

Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist/sind grundsätzlich der Erbe/die Erben. Ausnahmsweise kann sich der Anspruch aber auch ganz oder teilweise gegen den Beschenkten selbst richten. Dies ist dann der Fall, wenn

der Alleinerbe selbst den Anspruch auf Pflichtteilsergänzung geltend macht (§ 2329 Abs. 1 S. 2 BGB),
der Erbe selbst zu den konkret pflichtteilsberechtigten Personen gehört und ihm bei Erfüllu...

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