Rz. 1

Der Zweck des vorliegenden Handbuches besteht darin, seinen Lesern aus der Praxis einen vertieften Einblick in das Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf der internationalen Ebene zu gewähren. Eine Gesellschaft ist zwar einerseits ein abstraktes juristisches Gebilde, das einer rechtstheoretischen Durchdringung zugänglich ist. Andererseits aber ist sie regelmäßig Trägerin eines Unternehmens. Gespiegelt auf ein solches Unternehmen stehen die dafür einschlägigen Rechtsgebiete, etwa das Gesellschaftsrecht, das Arbeits-, Wettbewerbs- und Steuerrecht sowie das Zivilverfahrens- und das Insolvenzrecht, nicht isoliert neben-, sondern in einer mannigfaltigen Wechselwirkung zueinander und sind untereinander verflochten. In ihrer Gesamtheit bilden sie das für das Unternehmen maßgebliche Recht, das Unternehmensrecht. Die Komplexität nimmt zu, wenn es sich um ein Unternehmen handelt, das – wie es heute der Regelfall ist – Berührungspunkte zu mehreren Rechtsordnungen aufweist. Diese grenzüberschreitende Komponente lässt das Rechtsgefüge, in welches das Unternehmen eingebettet ist, als Internationales Unternehmensrecht erscheinen.[1] Hinzu kommt, dass ein Unternehmen nicht nur spezifisch gewerbliche Rechtsbereiche berührt, sondern auch im Rahmen des Vertrags-, Delikts- und sonstigen allgemeinen Verkehrsrechts am Verkehr teilnimmt.

 

Rz. 2

Der Begriff des Internationalen Unternehmensrechts als Sammelbezeichnung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Unternehmen nicht in all seinen Beziehungen demselben Recht untersteht. Vielmehr kann jede einzelne Rechtsbeziehung, die einem gesonderten Rechtsbereich zuzuordnen ist, in internationaler Hinsicht einem anderen Recht unterstehen, sog. zergliedernde oder analytische Methode des IPR.[2] So ist jedes Rechtsverhältnis seiner Natur nach einem Rechtsgebiet zuzuordnen, mithin als Bestandteil dieses Rechtsbereichs zu qualifizieren, um in einem sich anschließenden Schritt das Rechtsverhältnis an das Recht desjenigen Staates anzuknüpfen, das für den entsprechenden Rechtsbereich maßgeblich ist.

 

Rz. 3

Nach dieser Maßgabe unterstehen die als gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Fragen dem Gesellschaftsstatut (lex societatis), mithin demjenigen Sachrecht, das sich in Anwendung des Internationalen Gesellschaftsrechts ergibt. Die als schuldvertraglich zu qualifizierenden Verhältnisse unterstehen dagegen nach dem Internationalen Schuldvertragsrecht dem Vertragsstatut (lex contractus; lex causae). Die insolvenzrechtlich zu qualifizierenden Sachverhalte unterstehen schließlich dem nach dem Internationalen Insolvenzrecht ermittelten Insolvenzstatut (lex concursus). Es ist daher in erster Linie die Zuordnung eines Sachverhaltes zu dem Anwendungsbereich einer der nach Systembegriffen unterteilten Kollisionsnormen, die über das in der Sache anwendbare Recht entscheidet. Durch die Aufteilung nach Rechtsbereichen können einheitliche Lebenssachverhalte aufgespalten und in ihrem einen Aspekt der einen und in einem anderen Aspekt einer anderen Rechtsordnung zugewiesen werden (depeçage).

 

Rz. 4

Die Anknüpfung nach Systembegriffen erzeugt dann keine besonderen Nachteile, wenn jede der beteiligten Rechtsordnungen dieselbe Aufteilung nach Rechtsbereichen vorsieht. Verhält es sich aber so, dass die eine Rechtsordnung den ihr kraft Zugehörigkeit zu einem Rechtsgebiet zugewiesenen Aspekt nicht bzw. an anderer Stelle ihres Rechtssystems, zu dessen Anwendung sie im konkreten Fall nicht berufen ist, geregelt hat, so fehlt es in dem zu entscheidenden Fall einer Regelung dafür überhaupt, da sich auch die verweisende Rechtsordnung infolge des Verweises nicht für zuständig hält. Es liegt damit ein Normenmangel vor. Graduell weniger schwerwiegend ist der Fall, dass eine Rechtsordnung für den einen Aspekt eines regelmäßig mehrgliedrigen Sachverhalts eine sehr strenge Regelung vorhält und dafür an der Stelle des damit verknüpften anderen Aspekts großzügiger ist, während die andere Rechtsordnung die gegenteilige Politik verfolgt. Untersteht nun der eine Aspekt der einen und der andere der anderen Rechtsordnung, weil die maßgebliche Kollisionsnorm den nach beiden Rechtsordnungen bestehenden Zusammenhang nicht nachvollzieht, so führt dies entweder dazu, dass beide Aspekte nunmehr der jeweils strengeren oder umgekehrt der jeweils großzügigeren Regelung unterliegen, was dem Anliegen beider Rechtsordnungen widerspricht (Normenwiderspruch).[3]

 

Rz. 5

Der vorliegende Beitrag widmet sich derartigen Problemen auf der Schnittstelle zwischen dem Internationalen Gesellschafts- und dem Internationalen Insolvenzrecht, die in mannigfaltiger Weise gegenseitige Bezüge aufweisen und in deren gemeinsamen Anwendungsbereich sich zahlreiche Rechtsverhältnisse und Gestaltungen einer eindeutigen Zuordnung entziehen. Dieser Bereich hat durch den verstärkten Zuzug von Auslandsgesellschaften erheblich an Bedeutung gewonnen. Im Gang der Untersuchung werden zunächst die Grundsätze des Internationalen Gesellschaftsrechts, wie sie be...

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