Rz. 124
Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO wird im Falle von Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes ist.[332] Entgegen den Implikationen des Wortlautes wird die Feststellung des für die Eröffnungszuständigkeit maßgeblichen Interessenmittelpunktes aus deutscher Perspektive von dem in § 5 InsO niedergelegten Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht, der über Art. 7 Abs. 1 EuInsVO Anwendung findet.[333] Auch mit Art. 4 EuInsVO gilt die Offizialmaxime, wonach das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befasste Gericht von Amts wegen prüft, ob es nach Art. 3 EuInsVO zuständig ist.
Dies wird durch Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO insoweit überlagert, als eine entsprechende Ermittlungspflicht nur besteht, sofern es für die Divergenz des Interessenmittelpunktes vom statutarischen Sitz Anhaltspunkte gibt.[334] Derartige Anhaltspunkte können sich insbesondere aus dem für die Eröffnungsentscheidung notwendigen Sachvortrag des Schuldners[335] oder aus sonstigen, den Akten zu entnehmenden Umständen[336] ergeben. Wie der EuGH in der Rechtssache Interedil ./. Intesa Gestione klargestellt hat, kann nur eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren mit dem Ergebnis einer für Dritte überprüfbaren Feststellung eines abweichenden Interessenmittelpunktes zu einer Widerlegung der Vermutung führen.[337] Alleine die Vermischung des Gesellschaftsvermögens mit dem einer inländischen Gesellschaft (über deren Vermögen bereits ein Hauptverfahren eröffnet ist) genügt hierfür indes nicht, wie der EuGH in der Rechtssache Rastelli ./. Hidoux klargestellt hat.[338] Die Bedeutung der Vermutungsregel beschränkt sich letztlich auf Zweifelsfälle, in denen sich ein vom Satzungssitz divergierender Interessenmittelpunkt nicht sicher ermitteln lässt.[339] Im Falle einer solchen Divergenz aber findet auch bei Einstellung der werbenden Tätigkeit im Staat des Interessenmittelpunktes ein Rückfall der internationalen Eröffnungszuständigkeit auf die Gerichte im Staat des Satzungssitzes nicht statt; maßgeblich ist vielmehr im Falle der Einstellung der werbenden Tätigkeit der letzte Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen.[340]
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