Rz. 76

 

Zum Thema

Jahnke "Mittelbare Betroffenheit und Schadensersatzanspruch" r+s 2003, 89; Jahnke, Unfalltod und Schadenersatz, 2. Aufl. 2012, § 2 Rn 559 ff.; Jahnke/Thinesse-Wiehofsky, 1. Aufl. 2013, § 2 Rn 386 ff.

(1) Verletzung des Nasciturus

 

Rz. 77

Wird der Fötus selbst durch unmittelbare physische Einwirkung verletzt, ist der daraus entstehende Schaden zu ersetzen, wobei das im Unfallzeitpunkt noch ungeborene Kind eine eigene unfallbedingte Verletzung (§ 287 ZPO) nachweisen muss und nicht auf die unfallkausale Verletzung der Mutter verweisen kann.[112]

[112] BGH v. 11.1.1972 – VI ZR 46/71 – VersR 1972, 372; OLG Celle v. 2.11.2000 – 14 U 17/00 – VRS 100, 250.

(2) Verletzung der Mutter

 

Rz. 78

Der unmittelbare Gesundheitsschaden eines Ungeborenen kann auch durch Verletzung der Mutter während der Schwangerschaft vermittelt werden (z.B. Infektion,[113] Medikamentenbehandlung der Mutter, Sauerstoffunterversorgung, Operation, Schock[114]). Auch dem infolge einer Verletzung seiner Mutter mit einem Gesundheitsschaden überlebend zur Welt gekommenen Kind stehen dann eigene Ersatzansprüche zu.[115]

 

Rz. 79

Der Abfindungsvergleich der Mutter über ihre eigenen Ansprüche betrifft nicht die Ansprüche des Nasciturus.[116]

 

Rz. 80

Im Ausnahmefall stehen auch einem zum Handlungszeitpunkt noch nicht einmal Gezeugten Ansprüche zu (z.B. Infektion [wie Röteln,[117] Hepatitis, Aids][118] der Kindesmutter vor Zeugung[119]). Das gilt allerdings nicht für die Eintrittspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung. Deren Schutz (§ 12 SGB VII) erstreckt sich nicht auf Schädigungen des Kindes, die auf vor der Zeugung eingetretene Ereignisse (z.B. Berufserkrankung) zurückzuführen sind (siehe Rn 89).

[113] BSG v. 16.4.2002 – B 9 VG 1/01 R – BSGE 89, 199 = NJW 2002, 312 (Inzestkind); BSG v. 24.10.1962 – 10 RV 583/59 – BSGE 18, 55 = FamRZ 1963, 232 = NJW 1963, 1078 (Gewalteinwirkung auf die Mutter während der Schwangerschaft).
[114] BGH v. 5.2.1985 – VI ZR 198/83 – BGHZ 93, 351 = DAR 1985, 217 = FamRZ 1985, 464 = JA 1985, 473 (Anm. Breemhaar-Schwefer) = JR 1985, 461 = JuS 1985, 727 = JZ 1985, 538 = MDR 1985, 563 = MedR 1985, 275 (Anm. Dunz MedR 1985, 269) = NJW 1985, 1390 = r+s 1985, 110 = VersR 1985, 499 = VRS 68, 414 = zfs 1985, 196 (nur Ls.) (Haftung des Schädigers auch dem später mit einem Gesundheitsschaden zur Welt gekommenen Kind, wenn die Verletzung der Leibesfrucht durch den Angriff auf die Psyche der Schwangeren vermittelt wird. Ein Haftungszusammenhang zwischen einem Verkehrsunfall mit tödlichen oder lebensbedrohenden Verletzungen des Unfallopfers, dem Schock der Schwangeren bei der Nachricht hiervon und der vermittelten Schädigung der Leibesfrucht besteht jedenfalls dann, wenn das Unfallopfer ein naher Angehöriger ist und die Schädigung der Leibesfrucht schwer und nachhaltig ist. Konkret hatte die im 5. Monat schwangere Ehefrau des Unfallopfers erhebliche Kreislaufbeschwerden und 2 Tage andauernde Wehen mit Gefahr einer Fehlgeburt; das Kind ist wegen eines hierauf beruhenden Hirnschadens körperlich und geistig schwerstbehindert.).
[115] BGH v. 5.2.1985 – VI ZR 198/83 – BGHZ 93, 351 = DAR 1985, 217 = FamRZ 1985, 464 = JA 1985, 473 (Anm. Breemhaar-Schwefer) = JR 1985, 461 = JuS 1985, 727 = JZ 1985, 538 = MDR 1985, 563 = MedR 1985, 275 (Anm. Dunz MedR 1985, 269) = NJW 1985, 1390 = r+s 1985, 110 = VersR 1985, 499 = VRS 68, 414 = zfs 1985, 196 (nur Ls.); OLG Hamm v. 25.5.1998 – 32 U 198/97 – DAR 1999, 260 m.w.N. (BGH hat Revision nicht angenommen, Beschl. v. 9.3.1999 – VI ZR 231/98 –).
[116] OLG Celle v. 2.11.2000 – 14 U 17/00 – VRS 100, 250.
[117] BGH v. 18.1.1983 – VI ZR 114/81 – BGHZ 86, 240 = DRiZ 1983, 72 = FamRZ 1983, 373 = JR 1983, 320 = JZ 1983, 447 (Anm. Deutsch) = MDR 1983, 477 = NJW 1983, 1371 = VersR 1983, 396 (Röteln-Fall).
[118] Auch fahrlässige Aids-Infektion der Mutter durch Partner oder Zufallsbekanntschaft.
[119] BGH v. 11.1.1972 – VI ZR 46/71 – BGHZ 58, 48 = FamRZ 1972, 202 = MDR 1972, 406 = NJW 1972, 1126 = VersR 1972, 372; BSG v. 15.10.1963 – 11 RV 1292/61 – BSGE 20, 41 = FamRZ 1964, 130 = MDR 1964, 181 = NJW 1964, 470 (Lues-Infektion eines 6 Jahre nach einer Vergewaltigung geborenen Kindes); BGH v. 20.12.1952 – II ZR 141/51 – BGHZ 8, 243 = NJW 1953, 417 = VersR 1953, 86 (Angeborene Krankheit [Lues] durch Infektion der Kindesmutter im Krankenhaus noch vor Zeugung des Kindes).

(3) Mitverantwortung der Mutter

 

Rz. 81

Der Nasciturus ist vor der Geburt keine (selbstständige/eigenständige) "dritte Person" i.S.d. Schadenersatzvorschriften, sondern bis zur Geburt Teil einer (dann anderen) Person (Identität mit Mutter).[120] Mutter und Leibesfrucht sind vor der Geburt eine Einheit im haftungsrechtlichen Sinne (nicht: Haftungseinheit).[121] Eine Mitverantwortung der Mutter zum Schadengrund und/oder zur Schadenhöhe führt damit zu einer unmittelbaren Anspruchskürzung auch der Direktansprüche des überlebenden, aber geschädigt Geborenen, selbst wenn man den Unterhaltsmehraufwand als – dann dort zu kürzende – Anspruchsmöglichkeit der Eltern darstellt.[122]

 

Rz. 82

Als Schädigungshandlung der Mutter kommen neben einem mitversch...

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