Rz. 34

Über die vorstehend geschilderten Obliegenheiten zur Anzeige potentieller Schadenfälle hinausgehend ist von Anwälten allerdings zu berücksichtigen, dass sie nicht einfach die Ansprüche ihrer Klientel unstreitig stellen und anerkennen. Denn wirtschaftlicher (Haupt-)Betroffener ist nach einem Schadenfall meist die Berufshaftpflichtversicherung, weshalb dieser ein Weisungsrecht und eine Entscheidungsprärogative zugebilligt wird, deren Nichtbeachtung schädliche Folgen für den Anwalt haben können.

 

Rz. 35

So besteht eine Pflicht zur Mitwirkung des Versicherungsnehmers bei der Schadenabwehr. Der Versicherungsnehmer ist, soweit für ihn zumutbar, nach den Standardbedingungen der Versicherungswirtschaft verpflichtet, unter Beachtung der Weisungen des Versicherers, insbesondere auch hinsichtlich der Auswahl des Prozessbevollmächtigten, für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und alles zu tun, was zur Klarstellung des Schadenfalles dient.

 

Rz. 36

Der Anwalt hat den Versicherer bei der Abwehr des Schadens sowie bei der Schadenermittlung und -regulierung zu unterstützen, ihm ausführliche und wahrheitsgemäße Schadenberichte zu erstatten, alle Tatumstände, welche auf den Schadenfall Bezug haben, mitzuteilen und alle nach Ansicht des Versicherers für die Beurteilung des Schadenfalls erheblichen Schriftstücke einzusenden. Den aus Anlass eines Schadenfalles erforderlichen Schriftwechsel hat der Versicherungsnehmer unentgeltlich zu führen.

 

Rz. 37

Gegen Mahnbescheide oder Verfügungen von Verwaltungsbehörden auf Schadenersatz hat der Versicherungsnehmer deshalb, unter Umständen ohne die Weisung des Versicherers abzuwarten, fristgemäß Widerspruch zu erheben und die erforderlichen Rechtsbehelfe zu ergreifen. Die Kosten eines vom Versicherungsnehmer außergerichtlich beauftragten Bevollmächtigten werden nicht erstattet.

 

Rz. 38

Angesichts des mit den §§ 105, 108 Abs. 2 VVG einhergehenden Wegfalls des Anerkenntnis- und Abtretungsverbots im Zuge der VVG-Reform und der angesprochenen Offenheit und Transparenz im Umgang mit potentiellen Schadenfällen gegenüber der Mandantschaft mag es zwar naheliegend erscheinen, behauptete Regressansprüche "einfach" anzuerkennen, um so einen missliebigen Regressfall rasch erledigt zu sehen.

 

Rz. 39

Indes würde der Versicherungsnehmer dann trotzdem Gefahr laufen, auf einem anerkannten Schaden "sitzen zu bleiben". Zwar darf er den Schadensersatzanspruch des Mandanten danach anerkennen; allerdings ist der Versicherer hieran nicht gebunden, sodass der Versicherungsnehmer Gefahr läuft, dass im Deckungsprozess das Nichtbestehen seiner Haftung festgestellt wird und er somit keinen Freistellungsanspruch hat.[10]

 

Rz. 40

Mittels der nun ebenfalls zulässigen Abtretung des Deckungsanspruchs vom Versicherungsnehmer an den Geschädigten kann man zudem eine Rechtslage herbeiführen, die einem Direktanspruch gegen den Versicherer gleichkommt, wie es auch § 115 VVG in besonderen Fallkonstellationen vorsieht. Der Inhalt des abgetretenen Anspruchs und seine Abwicklung bergen jedoch eine Vielzahl von Problemen, sodass diese Vorgehensweise nicht zwingend von Erfolg gekrönt sein wird.[11]

 

Rz. 41

 

Praxistipp

Anwälte sollten mit Blick auf die dargestellten Unwägbarkeiten und Risiken für den eigenen Versicherungsschutz grds. von einem Anerkenntnis von Regressansprüchen und einer Abtretung ihrer Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag jedenfalls solange absehen, bis ihnen eine Zustimmung ihres Versicherers zu einem solchen Schritt vorliegt.

 

Rz. 42

Die vorstehende Empfehlung ist schon deshalb veranlasst, weil die Folgen eines anwaltlichen Fehlverhaltens häufig nur nach einer intensiven Analyse des Ausgangssachverhalts sowie unter Umständen auch nur nach einer (gerichtlichen) Anhörung von Zeugen und Sachverständigen abgeschätzt werden können und weil selbst das Vorliegen einer schuldhaften Sorgfaltspflichtverletzung nicht immer feststehen muss.

 

Rz. 43

So gibt es bei Fristversäumnissen die Möglichkeit, nach den §§ 233 ff. ZPO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen und so ein Verfahren noch zu retten. Da das Wiedereinsetzungsverfahren naturgemäß nicht zum Standardrepertoire von Anwälten gehört und schon mit Rücksicht auf die differenzierte Fristenregelung für den zur Verfügung stehenden Zeitraum für ein Wiedereinsetzungsgesuch nach § 234 Abs. 1 ZPO Quellen für weitere Fehler bereit hält, ist die Zuziehung von Spezialisten ratsam.

 

Rz. 44

Solche Spezialisten halten die Berufshaftpflichtversicherer für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung von Anwälten regelmäßig bereit, sodass nur empfohlen werden kann, in Problemlagen auch deren Know-how und Spezialwissen in Anspruch zu nehmen oder zumindest den Versicherer um Unterstützung zu bitten. Denn der sog. Kosten- und Abwehrschutz nach den §§ 100, 101 VVG beschränkt sich nicht nur darauf, dass der Berufshaftpflichtversicherer die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu Abwehr der von einem Dritten geltend gemachten Ansprüche gem. § 101 Abs. 1 S. 1 V...

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