A. Allgemeine Vorüberlegungen zur Verteidigung

[Autor] Burhoff

I. Allgemeines

 

Rz. 1

In der Praxis hat die Verteidigung gegen den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung, einer Abstandsunterschreitung bzw. eines Rotlichtverstoßes oder auch einer Trunkenheitsfahrt erhebliche Bedeutung. Für den Betroffenen sind diese Bereiche deshalb so "gefährlich", weil z.B. sowohl bei massiven Geschwindigkeitsüberschreitungen als auch bei erheblichen Abstandsunterschreitungen oder Rotlichtverstößen mit mehr als einer Sekunde Rotlichtzeit oder der Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG als Rechtsfolge ein Fahrverbot droht. Deshalb ist der Verteidiger hier besonders gefordert, vor allem dann, wenn der Betroffene aus beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis und die Möglichkeit zu fahren angewiesen ist.

 

Hinweis

Auf die mit diesen Verkehrsverstößen zusammenhängenden Rechtsfragen muss der Verteidiger daher sein besonderes Augenmerk richten. Aus Platzgründen können nicht alle Probleme und Fragestellungen dargestellt werden, zumal in diesem Werk die technischen Fragen der Messverfahren bei Geschwindigkeitsüberschreitung, Abstandsmessung, Rotlichtverstoß und Trunkenheitsfahrt im Vordergrund stehen sollen. Die Darstellung der rechtlichen Fragen beschränkt sich also nur auf das Wesentliche und will nur einen ersten Überblick über die Fragen geben, die in der Verteidigungspraxis von besonderer Bedeutung sind. Zur Vertiefung der Probleme verweise ich auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, sowie auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl., 2016.

 

Rz. 2

Das Schwergewicht der Darstellung bei den nachfolgenden Ausführungen liegt bei den Anforderungen an die vom AG in einem verurteilenden Urteil zu treffenden tatsächlichen Feststellungen. Damit ist für den Verteidiger einfacher zu entscheiden, ob sich ggf. eine Rechtsbeschwerde "lohnt". Die mit den technischen Problemen der angesprochenen Messverfahren zusammenhängenden Fragen sind bei den o.a. Messverfahren in § 1 und § 2 dargestellt (dort z.T. auch nähere Ausführungen zu Beweisanträgen). Diese spielen vornehmlich im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und im amtsgerichtlichen Verfahren eine Rolle (zu Beweisanträgen s. aber auch Rdn 230 ff.).

 

Rz. 3

Nicht dargestellt sind die mit den Rechtsfolgen – Fahrverbot und Geldbuße – zusammenhängenden Fragen. Dazu verweise ich auf die entsprechenden Ausführungen von Deutscher bzw. Gübner in: Burhoff, OWi, Rn 1391 ff. bzw. Rn 1843 ff. Schließlich werden auch die mit "Punkten" im FAER zusammenhängenden Fragen nicht behandelt. Dazu wird verwiesen auf Burhoff/Gübner, OWi, Rn 1279 ff. und auf Pießkalla in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil E Rn 323 ff.).

II. Verteidigung im OWi-Verfahren

 

Rz. 4

Der Verteidiger muss sich bei der Verteidigung im OWi-Verfahren vorab folgende allgemeine Punkte bewusst machen:

Die Verteidigung im OWi-Verfahren ist gerade auch im Bereich der Geschwindigkeits- und Rotlichtverstöße, der Abstandsunterschreitungen und der Trunkenheitsfahrten im Hinblick auf ein ggf. drohendes Fahrverbot wegen der Erfordernisse der Angemessenheit und Erforderlichkeit eine Verteidigung auf Zeit. Nach Möglichkeit muss ein "langer Zeitraum" zwischen Tat und Urteil liegen (dazu eingehend Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 1491 ff.).
Die Verteidigung im OWi-Verfahren beginnt nicht erst in der Rechtsbeschwerde beim OLG. Dieses ist an die vom AG getroffenen tatsächlichen Voraussetzungen gebunden, und zwar sowohl hinsichtlich des Schuldspruchs als auch hinsichtlich der festgesetzten Rechtsfolgen. Dieser Punkt hat in der letzten Zeit in Zusammenhang mit der (neu) entfachten Diskussion um das sog. standardisierte Messverfahren und seine Auswirkungen im Verfahren an Bedeutung gewonnen.

Die Verteidigung im OWi-Verfahren durchläuft fünf Stufen:

1. Prüfung der Messung (dazu § 1 Rdn 1 ff.) und – beim bestreitenden Mandanten – der Frage, ob dieser als Täter/Fahrer zum Vorfallszeitpunkt identifiziert werden kann (dazu § 2 Rdn 1 ff. und nachfolgend Rdn 205 ff.; auch noch Bellmann, StRR 2011, 419; dies., StRR 2011, 463; dies., StRR 2012, 18).
2. Prüfung des Bußgeldbescheides im Hinblick auf seine Wirksamkeit (dazu eingehend Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 720 ff.). Die Frage hat für die Unterbrechung der Verjährung erhebliche Bedeutung.
3. Vorbereitung der Hauptverhandlung.
4. Verteidigung in der Hauptverhandlung.
5. Verteidigung im Rechtsbeschwerdeverfahren (zur Rechtsbeschwerde Rdn 254 ff.).
 

Hinweis

Zur Verteidigung im Rechtsbeschwerdeverfahren gehört auf jeden Fall, dass der Verteidiger noch einmal Akteneinsicht nimmt, um Verfahrensverstöße, die ggf. die Verfahrensrüge begründen können, feststellen zu können.

Ist dem Verteidiger nicht bzw. nicht ausreichend (Akten)Einsicht in die Bedienungsanleitung/Messunterlagen des/eines Messgerätes gewährt wo...

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