Rz. 207

Zur Frage der Identifizierung des Betroffenen anhand eines bei dem Verkehrsverstoß gefertigten Fotos hat es in der Vergangenheit umfangreiche Rechtsprechung der OLG gegeben, die inzwischen allerdings z.T. weitgehend überholt ist (vgl. zu dieser Rspr. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, § 71 Rn 47a m.w.N. und die Nachw. in BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420 = NZV 1996, 157 = DAR 1996, 178). Allgemein ist zur Frage der Identifizierung des Betroffenen nur Folgendes festzustellen: Die OLG waren untereinander in dieser Frage zerstritten, und zwar nicht nur in der Frage, ob überhaupt ein Radarfoto zur Identifizierung des Kraftfahrers ausreichte, sondern insb. auch darüber, welche Anforderungen an das tatrichterliche Urteil zu stellen waren, was also der Tatrichter über seinen Erkennensprozess im Urteil darlegen musste, wenn dieses hinsichtlich der Frage der Täterschaft bzw. Identifizierung des Betroffenen in der Rechtsbeschwerde Bestand haben sollte.

 

Hinweis

An dieser Stelle gewinnt die Frage dann auch für den Verteidiger eines den Verkehrsverstoß bestreitenden Betroffenen Bedeutung. Der Verteidiger muss nämlich prüfen, ob die Ausführungen im Urteil ausreichen, den bestreitenden oder sich nicht einlassenden Mandanten als Fahrer des fotografierten Pkw zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes zu überführen (dazu Burhoff/Gübner, OWi, Rn 2644 ff.; Burhoff, VA 2006, 125; 2006, 144).

Zudem muss er – meist zu Anfang des Mandats – prüfen, ob ein ggf. von dem Verkehrsverstoß gefertigtes Lichtbild "gut genug" ist, um den Mandanten als Fahrer zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes identifizieren zu können (auch Rdn 216 ff.). Es gibt eine "Arbeitsgruppe für anthropologische Identifikation lebender Personen aufgrund von Bilddokumenten", die 1999 Standards für die Begutachtung solcher Fälle erarbeitet hat. Diese sind in mehreren Fachzeitschriften veröffentlicht worden (vgl. DAR 1999, 188; Kriminalistik 1999, 246; NStZ 1999, 230). Weiterführende Hinweise findet man auch auf www.fotoidentifikation.de (vgl. § 2 Rdn 15 ff.).

 

Rz. 208

In dem Streit der OLG hat der BGH dann in seinem Beschl. v. 19.12.1995 ein klärendes Wort gesprochen (BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420 = NZV 1996, 157 = DAR 1996, 178). Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war erneut die Überlegung des BGH, dass an die Urteilsgründe in Bußgeldsachen keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (so auch schon BGHSt 39, 291, 299 = NJW 1993, 3081, 3083 zum standardisierten Messverfahren). Das ist gerade in dem hier betroffenen Bereich der Beweiswürdigung von Bedeutung: Der Tatrichter ist einerseits nicht verpflichtet, alle als beweiserheblich in Betracht kommenden Umstände anzuführen, andererseits muss die Schilderung der Beweiswürdigung so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler ermöglicht.

 

Hinweis

Die Grundsätze dieser Rechtsprechung des BGH (BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420 = NZV 1996, 157 = DAR 1996, 178) gelten i.Ü. nicht nur für die Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes, sondern auch, wenn der Tatrichter ein Lichtbild aus anderen Gründen zum Gegenstand seiner Beweiswürdigung macht, so z.B. im Zusammenhang mit der Frage der Erkennbarkeit eines Verkehrsschildes, durch das eine Tempo-30-Zone angeordnet wird (vgl. z.B. OLG Hamm, NZV 2007, 376 = VRS 112, 274; zur Zulässigkeit der Bezugnahme auf Lichtbilder von einem Rotlichtverstoß zuletzt OLG Bremen, NZV 2010, 42).

 

Rz. 209

Das bedeutet für die Identifizierung des Betroffenen anhand eines von einem Verkehrsverstoß gefertigten Radarfotos: Die Urteilsgründe müssen grds. so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das vom Verkehrsverstoß gefertigte Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Dafür stehen dem Tatrichter zwei Wege zur Verfügung, die unterschiedliche Anforderungen an die Urteilsgründe stellen. Wegen dieser unterschiedlichen Anforderungen muss der Verteidiger, wenn es um die Identifizierung eines Betroffenen anhand eines Lichtbildes geht, sehr sorgfältig prüfen, welchen Weg das Tatgericht denn nun gewählt hat und ob die sich daraus ergebenden Anforderungen erfüllt sind (dazu u.a. Burhoff, VA 2006, 144; Burhoff/Gübner, OWi, Rn 2663 ff.; Staub, DAR 2016, 292 und DAR 2019, 231).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge