Rz. 627

Der Abschluss eines Interessenausgleichs ist im Gegensatz zum Sozialplan nicht erzwingbar, auch nicht in der Einigungsstelle. Daraus werden unterschiedliche Schlüsse gezogen: Die Befürworter des Unterlassungsanspruchs argumentieren, gerade wegen der fehlenden Erzwingbarkeit des Interessenausgleichs und der damit verbundenen strukturellen Unterlegenheit des Betriebsrats bedürfe dessen Verhandlungsanspruch des besonderen Schutzes, damit er nicht völlig entwertet werde. Die Gegner des Unterlassungsanspruchs weisen darauf hin, dass dem Betriebsrat auf dem Wege des Unterlassungsanspruchs nicht eine größere Macht zugebilligt werden dürfe, als im Gesetz vorgesehen.[1366]

 

Rz. 628

An dieser Stelle soll lediglich auf zwei Aspekte hingewiesen werden: Zum einen hat das BAG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 3.5.1994[1367] den allgemeinen Unterlassungsanspruch im Bereich der sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG anerkannt. Auch dieser Anspruch ist nicht kodifiziert und war lange umstritten. Ob dieser Unterlassungsanspruch auch für den Bereich der Betriebsänderung gilt, hat das BAG offen gelassen, aber auch nicht ausgeschlossen.

 

Rz. 629

Zum anderen sind in diesem Zusammenhang die EU-Richtlinien 98/59/EG (sog. Massenentlassungs-Richtlinie) und 2002/14/EG (Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft) zu beachten, die z.T. weitergehende Informations- und Beratungsansprüche der Arbeitnehmervertretungen als nach deutschem Recht vorsehen. Diese Richtlinien sind zumindest im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung zwingend zu berücksichtigen.[1368] Diese Richtlinien spielen in der Diskussion um die Begründung des Unterlassungsanspruchs eine immer wichtigere Rolle.[1369]

[1366] Zur Argumentation im Einzelnen Fitting u.a., § 111 Rn 131 ff.; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rn 27; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rn 276 f.
[1367] BAG 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972; zwar hat das BAG den allgemeinen Unterlassungsanspruch im Bereich der personellen Einzelmaßnahmen inzwischen abgelehnt, jedoch mit der Begründung, dass der Gesetzgeber in § 101 BetrVG die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die prozeduralen Anforderungen des Betriebsverfassungsgesetzes ausdrücklich geregelt habe, BAG 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 48.
[1369] LAG Hamm 20.4.2012 – 10 TaBVGa 3/12, juris; LAG Schleswig-Holstein 15.12.2010 – 3 TaBVGa 12/10, DB 2011, 714; LAG München 22.12.2008 – 6 TaBVGa 6/08, BB 2010, 896 – s. insbesondere zu dieser Entscheidung Lipinski/Reinhardt NZA 2009, 1184; ArbG Gelsenkirchen 30.11.2006 – 5 BVGa 9/06, AE 01/07 Nr. 47; ArbG Regensburg 24.6.2005 – 3 BVGa 5/05, n.v., allerdings von der zweiten Instanz aufgehoben; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rn 168; Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 f.; Bruns, AuR 2003, 15 f.; Pflüger, DB 1998, 2062 f; Karthaus, AuR 2007, 114 ff.

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