Rz. 71

Die vorstehend geschilderten allgemeinen Grundsätze zur gesamtschuldnerischen Haftung werden in vielerlei Hinsicht durch familienrechtliche Besonderheiten ergänzt, modifiziert und überlagert, aber keinesfalls verdrängt.[61]

[61] BGH NJW 2006, 2623; NJW RR 2010, 1513; NJW RR 2011, 73.

1. Ausgangspunkt

 

Rz. 72

Üblicherweise nehmen Ehegatten im Rahmen der ehelichen Lebensgestaltung ein oder mehrere Darlehen auf, für welche sie – worauf schon der Kreditgläubiger in der Regel achten wird – gesamtschuldnerische Haftung übernehmen. Im Rahmen der Trennung in Ehescheidungsabsicht ist zwingend die Frage zu klären, wie mit diesen gesamtschuldnerischen Verbindlichkeiten nach Trennung und Scheidung zu verfahren ist und welchen Einfluss selbige auf das Ehegüterrecht und etwaig bestehende künftige Unterhaltsverpflichtungen eines Ehegatten haben. Im Weiteren stellt sich die Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen ein Ausgleichsanspruch für Zahlungen in Betracht kommt, die ein Ehegattengesamtschuldner während der laufenden Ehe im Innenverhältnis allein geleistet hat.

a) Wechselwirkungen mit dem ehelichen Güterrecht

 

Rz. 73

Zwischen dem allgemeinen zivilrechtlichen Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB und dem ehelichen Güterrecht der §§ 1363 ff. BGB bestehen Wechselbeziehungen, die erheblichen Einfluss auf das Gesamtschuldverhältnis haben.

aa) Gütergemeinschaft (§ 1415 – 1482 BGB)

 

Rz. 74

Beim Güterstand der Gütergemeinschaft ist ein Gesamtschuldnerausgleich unter Ehegatten generell ausgeschlossen, eine Berücksichtigung etwaiger Ausgleichsansprüche findet im Rahmen der Auseinandersetzung über das Gesamtgut als unselbstständiger Rechnungsposten statt.

bb) Gütertrennung

 

Rz. 75

Bei Vereinbarung von Gütertrennung haftet jeder Ehegatte allein für die von ihm eingegangenen Verbindlichkeiten; ebenso beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Es gibt nach deutschem Recht keine "Sippenhaft", was im Rahmen "privater" Überlegungen von Ehegatten – sei es in intakter oder sich trennender Ehe – bei der gemeinsamen Lebensgestaltung im Rahmen der Eingehung von Verbindlichkeiten oftmals übersehen wird. Bei Gütertrennung ist die Abwicklung von Gesamtschuldnerausgleichsansprüchen unproblematisch, sie findet uneingeschränkt nach den vorstehend geschilderten Grundsätzen statt, da die Vorschriften über den Zugewinnausgleich nach §§ 1363 ff. BGB gerade nicht anwendbar sind.

cc) Zugewinngemeinschaft

 

Rz. 76

Gilt der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft, werden die Regelungen über den Gesamtschuldnerausgleich durch diesen nicht verdrängt. Die Regelungen über die Durchführung des Zugewinnausgleichs sind keine gesetzlichen Spezialregelungen zum Gesamtschuldnerausgleich.[62]

Die Ehegatten können untereinander wie "Fremde" auf vertraglicher Vereinbarung beruhende Forderungen gegeneinander ohne weiteres geltend machen, so auch Ausgleichsansprüche nach § 426 BGB, ohne dass dem mit dem Einwand eines Vorranges güterrechtlicher Verpflichtungen begegnet werden könnte. Das eheliche Güterrecht hat aber insofern Einfluss, als dass diese schuldrechtlichen Forderungen im Rahmen der Durchführung des Zugewinnausgleichs jeweils in der Aktivbilanz des Gläubigerehegatten und in der Passivbilanz des Schuldnerehegatten aufzunehmen sind, unabhängig davon, ob die Forderung bereits fällig ist oder nicht.[63]

Wendet man die entsprechenden familiengüterrechtlichen Vorschriften richtig an, wird durch die parallele Verfolgung und Geltendmachung zivilrechtlicher Forderungen gegen den anderen Ehegatten kein unsachgemäßes Ergebnis beim Zugewinnausgleich erreicht.

Damit steht als Zwischenergebnis fest, dass sowohl im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft als auch bei vereinbarter Gütertrennung Gesamtschuldnerausgleichsansprüche zwischen den Ehegatten bei Eingehung gemeinsamer Verbindlichkeiten uneingeschränkt bestehen können.

b) Unterhaltsrechtliche Aspekte

 

Rz. 77

Gesamtschuldnerausgleichsansprüche werden auch durch das Unterhaltsrecht nicht verdrängt. Allerdings sind (auch) gemeinsame Verbindlichkeiten bei den Berechnungen im Unterhalt zu berücksichtigen. Im Rahmen einer wertenden Betrachtung kann sich ein Einfluss ergeben auf die Ausgleichsverpflichtung eines Ehegatten nach § 426 Abs. 1 BGB. Im Sinne einer "anderweitigen Bestimmung" kann die hälftige Ausgleichspflicht eines Ehegatten reduziert oder ganz ausgeschlossen sein; dies gilt insbesondere für den häufigen Fall, dass für grundsätzlich im Innenverhältnis hälftig zwischen beiden Ehegatten aufzuteilende Verbindlichkeiten im Ergebnis doch eine Alleinhaftung im Innenverhältnis des diese faktisch ohnehin allein tragenden Ehegatten dann angenommen wird, wenn die Gesamtverbindlichkeiten im Rahmen der Unterhaltsberechnungen unterhaltsmindernd für den anderen, gemeinsame Verbindlichkeiten nicht bedienenden Ehegatten, bereits berücksichtigt wurden.[64]

[64] BGH FamRZ 2011, 25 (26).

c) Keine nachträgliche Abrechnung für Leistungen während laufender Ehe

 

Rz. 78

Der auf gemeinsame Verbindlichkeiten leistende Ehegatte kann regelmäßig das Scheitern der Ehe, einhergehend mit Trennung...

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