Rz. 78

Der auf gemeinsame Verbindlichkeiten leistende Ehegatte kann regelmäßig das Scheitern der Ehe, einhergehend mit Trennung, nicht zum Anlass nehmen, gegenüber dem anderen Ehegatten nunmehr die Leistungen abzurechnen, die er während intakter Ehe gegenüber dem gemeinsamen Gläubiger erbracht hat, es sei denn, es existiert eine ausdrückliche – schriftlich, mündliche oder konkludente – Vereinbarung der Eheleute untereinander. Die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft stellt regelmäßig in diesem Zusammenhang eine "anderweitige Bestimmung" im Sinne von § 426 Abs. 1 S. 1 BGB dar und eliminiert einen etwaigen Gesamtschuldnerausgleichsanspruch.[65]

Dieses "Abrechnungsverbot" gilt unabhängig vom Güterstand. Auch bei dem Güterstand der "Gütertrennung" erfüllen beide Ehegatten grundsätzlich ihre wechselseitigen Erwartungen aneinander und an die Schaffung und den Erhalt des gemeinsam Erreichten durch ihre konkreten, vom jeweils anderen akzeptierten Beiträge im Rahmen der ehelichen Lebensführung.[66]

 

Rz. 79

Vorstehendes ist Ausfluss des auch das allgemeine Schuldrecht des BGB und das Familienrecht überlagernden Grundsatzes der "Privatautonomie". Die in einer funktionierenden ehelichen Lebensgemeinschaft tatsächlich vorgenommene, interne Verteilung der Bedienung gemeinsamer Verbindlichkeiten hat den – nachträglich nicht widerlegbaren – Anschein für sich, dass der die Schuldenlast (allein) tragende Ehegatte hierdurch den von ihm ohnehin verpflichtend zu erbringenden Anteil am Familienunterhalt leistet, ohne dass er diesen später bei zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht oder jedenfalls nicht konkret vorhersehbarem Verlauf der Ehe nachträglich einschränken darf und Ersatz bzw. Ausgleich vom anderen Ehegatten verlangen dürfen soll. Dies ergibt sich bereits aus § 1360 S. 2 BGB, wonach die in ehelicher Lebensgemeinschaft einander wechselseitig erbrachten Arbeits-, Haushaltsführungs- und sonstigen Leistungen ohne eine wirtschaftlich ins einzelne gehende Bewertung grundsätzlich als äquivalent anzusehen sind und wird weiter gestützt durch § 1360b BGB, wonach explizit auch dann kein Ausgleich verlangt werden kann, wenn ein Ehegatte über den ihm ohnehin abzuverlangenden Aufwand für die Realisierung der ehelichen Lebensgemeinschaft hinaus Leistungen erbringt. Nach dem Wesen der Ehe und nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist solchen familieninternen Leistungen eine bereits zum Leistungszeitpunkt innewohnende latente Ausgleichsverpflichtung fremd. Es wäre entsprechend ein Verstoß gegen den Grundsatz des "venire contra factum proprium", wenn nach Trennung quasi dem anderen Ehegatten eine "Abrechnung" präsentiert würde. Neben allem anderen muss dies umso mehr gelten, als dass die überaus großen Schwierigkeiten bei der wechselseitigen Darlegung und Bewertung von während der Ehe erbrachter Leistungen im Rahmen der Gegenüberstellung der diesbezüglichen Leistungen des jeweils anderen Ehegatten zu einem heillosen Durcheinander führen würden und außerdem ohne weiteres Abrechnungssituationen entstehen würden, die den in Anspruch genommenen Ehegatten vollkommen überfordern. Diesem müsste dann nämlich regelmäßig das Argument an die Hand gegeben werden, dass er bei Kenntnis eines Abrechnungsverlangens nach Scheitern der Ehe solche Leistungen, wie die jetzt zur Abrechnung gestellten, gar nicht entgegengenommen, sondern seinerseits die eheliche Lebensführung vollkommen anders gestaltet hätte. Kurz gesagt: Eine rückwirkende Abrechnung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach konjunktivischen Gerechtigkeitsgesichtspunkten kann aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht stattfinden, jeder Ehegatte muss sich an seinem früheren Verhalten während der Ehe festhalten lassen.

 

Rz. 80

Im Übrigen sind solcher Art Leistungen nicht einmal bei nur lose miteinander verbundenen, insbesondere nichtehelichen Lebensgemeinschaften abrechenbar, sofern und solange sie während des Gemeinschaftsbestandes erfolgt sind.[67]

 

Rz. 81

Nicht entscheidend ist die Herkunft der für die Leistungserbringung im Außenverhältnis eingesetzten Mittel, die Einmaligkeit oder regelmäßig wiederkehrende Zahlung oder die Beantwortung der Frage, welcher der Ehegatten im Außenverhältnis leistungsverpflichtet war. Entscheidend ist vielmehr die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie und die faktische Möglichkeit des Zugriffs auf die für die Realisierung der ehelichen Lebensgemeinschaft zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Vorstehendes gilt selbst dann, wenn bei vereinbarter Gütertrennung ein Vermögenszuwachs beim anderen Ehegatten entsteht, der güterrechtlich nicht ausgleichsfähig ist. Denn dieser Umstand ändert nichts daran, dass Geschäftsgrundlage für die Leistungserbringung wiederum die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensführung ist, getragen von der Idee, auch den anderen am gemeinsam Erreichten partizipieren zu lassen.

 

Rz. 82

Vorstehende Grundsätze gelten sowohl in einer Doppel- als auch erst recht in einer Alleinverdienerehe. Ist ein Ehegatte Alle...

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