Rz. 968

Besteht ein der Rechtskraft fähiger Unterhaltstitel, der materiell unrichtig zustande kommt oder später unrichtig wird, weil sich die zugrunde liegenden Verhältnisse auf Seiten des Unterhaltsberechtigten für ihn positiv geändert haben, macht sich der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach § 826 BGB schadenersatzpflichtig, wenn er in sittenwidriger Weise den Titel weiter ausnutzt. Die Sittenwidrigkeit setzt dabei voraus, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte die Unrichtigkeit des Titels kennt und aufgrund weiterer Umstände die weitere Ausnutzung der formalen Rechtsstellung aus dem Titel in unerträglicher Weise das Rechtsgefühl verletzt.[867]

Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, ob für den Unterhaltsberechtigten im Einzelfall über die Auskunft auf Verlangen nach § 1580 S. 1 BGB hinaus grundsätzlich eine Pflicht zur ungefragten Offenbarung seiner veränderten Umstände bestand. Diese besteht aber nicht bereits dann, wenn eine wesentliche Änderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse eingetreten ist, sondern diese muss ersichtlich so grundlegend sein, dass das Schweigen darüber evident unredlich ist.[868] Dies wird etwa für eine völlig überraschende Aufnahme einer Erwerbstätigkeit[869] oder auch die fehlende Offenbarung einer langjährigen anderweitigen Partnerschaft angenommen.[870]

Überdies darf für den Unterhaltsschuldner nach der Lebenserfahrung keine Veranlassung bestanden haben, sich über die Einkommenssituation des Unterhaltsgläubigers durch die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen zu vergewissern.[871] Musste er etwa davon ausgehen, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu erwarten war, scheiden Schadenersatzansprüche wegen fehlender ungefragter Offenbarung aus.[872]

Der Schadenersatzanspruch ist dabei auf die Unterlassung der Zwangsvollstreckung und Herausgabe des Titels, bezüglich zu Unrecht bereits gezahlten Unterhalts auf die Rückzahlung in Geld gerichtet.[873] Ein Schadenersatzanspruch besteht aber nicht, wenn der Schaden durch ein Abänderungsverfahren vermieden werden kann.[874]

Diese Grundsätze gelten umgekehrt auch dann, wenn ein Unterhaltsschuldner eine deutliche Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit verschweigt, obwohl für ihn eine Pflicht zur ungefragten Information des Unterhaltsgläubigers besteht.[875]

 

Rz. 969

Liegt dagegen eine Unterhaltsvereinbarung vor, insbesondere in Gestalt eines gerichtlichen Vergleichs, bestehen gesteigerte Pflichten zur jederzeitigen ungefragten Information des anderen Ehegatten schon bei einem deutlichen Übersteigen des in der Vereinbarung für die Unterhaltsberechnung zugrunde gelegten Einkommens.[876]

 

Rz. 970

Haben die Ehegatten in einer Unterhaltsvereinbarung ausdrücklich eine Pflicht zur Offenbarung von Einkommensveränderungen aufgenommen, dann führt bereits deren Verletzung zu vertraglichen Schadenersatzansprüchen. Da letztlich die materielle Richtigkeit von Unterhaltszahlungen im Interesse beider Ehegatten liegt, sollte nach Möglichkeit in der Praxis auf entsprechende Vereinbarungen zu den Mitteilungspflichten hingewirkt werden.

[867] BGH FamRZ 1986, 450.
[868] BGH FamRZ 1986, 450, 453; BGH FamRZ 1988, 270, 271.
[869] BGH FamRZ 1988, 270, 271.
[870] OLG Koblenz FamRZ 1987, 1156; Klein/Roßmann, Kap. 2 Rn 1002.
[873] Klein/Roßmann, Kap. 2 Rn 992.
[874] Wever, Rn 873.
[875] BGH FamRZ 1988, 270 271, Wever, Rn 872.
[876] BGH FamRZ 1997, 483, BGH FamRZ 2008, 1325, 1327.

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