Rz. 104

Wenn anhand vorstehender Prüfungspunkte das Übermaß der finanziellen Inanspruchnahme festgestellt ist, ergibt sich daraus bereits ohne weiteres die – allerdings widerlegliche – Vermutung, der mit dem Hauptschuldner aufgrund persönlicher oder familiärer Beziehung eng verbundene Mithaftende habe die Verbindlichkeit allein aus diesem Grund und nicht aus eigenen persönlichen Motiven heraus übernommen und diese Gemengelage ist durch den Gläubiger in verwerflicher Weise für die entsprechende Vertragskonstruktion dahingehend instrumentalisiert worden, dass der Bürge/Mithaftende nicht selbst, sondern fremdbestimmt seinen Willen gebildet hat. Diese emotionale Verbundenheit ist entscheidend.

 

Rz. 105

Die Darlegungs- und Beweislast für einen doch selbstbestimmten Entschluss im Hinblick auf die Übernahme der Mithaftung für "fremde" Verbindlichkeiten liegt vollumfänglich beim Gläubiger, der den nach allgemeiner Lebenserfahrung als gegeben unterstellten Umstand, wonach Grundlage für die Übernahme der Bürgschaft/Mithaftung nicht eigene Interessen und Vernunftsüberlegungen bzgl. finanzieller Risiken das Leitmotiv gewesen sind, sondern ausschließlich die solche vollständig überlagernde persönliche Nähe zum Schuldner widerlegen muss. Er hat zusätzlich darzulegen und zu beweisen, dass die vorstehend beschriebene, auf persönlicher Nähe zum Hauptschuldner beruhende "irrationale" Vertragsgrundlage von ihm nicht in verwerflicher Gesinnung ausgenutzt wurde.[92]

Die Struktur von Persönlichkeit und Beruf des Mithaftenden spielen nur eine untergeordnete Rolle. Auch wenn dieser in geschäftlichen Dingen versiert ist, geht man davon aus, dass auch solche Personen aus persönlicher Beziehung zu Familienangehörigen/Ehegatten bereit sind, finanzielle Risiken einzugehen, die sie bei Realisierung vollständig ruinieren können.[93]

Folglich hat der Gläubiger den im Einzelfall überaus schwierigen Nachweis zu führen, dass die Verpflichtung doch aufgrund einer autarken, selbst bestimmten Entscheidung eingegangen wurde, obwohl dies mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht in Einklang steht.[94]

Dieser Beweis gilt aber als geführt, wenn ein gemeinsames Interesse an der Darlehensausreichung festgestellt werden kann und/oder dem Mithaftenden selbst im Rahmen der Kreditverwendung wesentliche finanzielle Vorteile entstehen.[95]

Solches Interesse liegt bei Einräumung hälftigen Miteigentums im Rahmen des Ankaufs einer Immobilie unter Verwendung der Kreditmittel auf der Hand. Er ist auch gegeben, wenn im Rahmen einer wirtschaftlichen Gesamtschau die Kreditmittel durch beide Ehegatten/Lebensgefährten verwandt worden sind, was allerdings durch den Gläubiger nach vorstehendem darzulegen und zu beweisen ist. Ist der Mithaftende nur mittelbar begünstigt im Hinblick auf eine allgemeine Anhebung des Lebensstandards, so reicht dies regelmäßig nicht aus, um im Rahmen der Wertung ein Abweichen von den grundsätzlich gegebenen Erfahrungssätzen zu rechtfertigen.

 

Rz. 106

Abzustellen ist hierbei außerdem auf die "Ex-ante-Sicht" des Mithaftenden, also wiederum auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrages bzw. der Abgabe seiner Mithaftungserklärung. Stellte sich zu diesem Zeitpunkt aus seiner Sicht die realistische Möglichkeit dar, an den ausgereichten Kreditmitteln selbst zu partizipieren, sind ein wirtschaftliches Eigeninteresse und damit eine wirksame Verpflichtungsübernahme auch dann gegeben, wenn sich diese Erwartung später nicht realisiert.

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