Rz. 4

Die hoheitlichen Kompetenzen auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit können von den Kommunen an Privatpersonen übertragen werden, solange die Behörde Herrin des Verfahrens bleibt.[11] Eine behördliche Kontrolle muss in jedem Fall gewährleistet bleiben. Neben dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich dies auch aus dem System des standardisierten Messverfahrens. Bei der Gerätezulassung wird nämlich bereits vorausgesetzt, dass hierbei die Beweismittelkette für die Messung lückenlos rückführbar ist.[12] Wie nachfolgend näher dargelegt wird, ist dabei zu berücksichtigen, dass die allein der Behörde vorbehaltenen Kernentscheidungen auch nicht durch eine faktische Vorauswahl der Privatpersonen beeinflusst werden dürfen. Ein formales "Durchwinken" einer privaten Vorprüfung durch die Behörde ist unzulässig.

 

Rz. 5

 
Hinweis

Herrin des Verfahrens bedeutet hier, dass die Ordnungsbehörde

1. frei über das Gerät verfügen können muss,
2. die Echtheit der gewonnenen Messdaten garantieren muss und
3. diese Messdaten selbst umwandeln und auswerten muss.
 

Rz. 6

Der behördliche Kernbereich, welcher von privaten Interessen nicht tangiert werden darf, umfasst vor allem die Vorgaben über Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen, die Kontrolle des Messvorgangs, die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Einsatz technischer Hilfsmittel sowie die Kontrolle über die Ermittlungsdaten von deren Generierung bis zur Umwandlung der digitalen Messdaten in die lesbare Bildform und die anschließende Auswertung der Messung sowie schließlich die Entscheidung, ob und gegen wen ein Bußgeldverfahren einzuleiten ist.[13] Selbst wenn die zuständige Behörde dem die Messung ausführenden Privaten Ort, Zeit und Dauer des Geräteeinsatzes vorgibt, handelt es sich also nicht um einen rein technischen Hilfsdienst, sondern um eine funktionell originäre Staatsaufgabe.[14]

 

Rz. 7

Bei der Messung durch Kommunen besteht zudem die Besonderheit, dass die eingenommenen Bußgelder direkt an die Gemeinden gehen. Darin liegt bereits ein kritisches Moment für widerstreitende Interessen – ungeachtet der Zwischenschaltung Dritter: Das OLG Frankfurt a.M. fordert hierbei verbindlich eine objektive hoheitliche Überprüfung der Standortwahl, beispielsweise durch die in Hessen zuständige Polizeiakademie.[15] Gleichlautende obergerichtliche Forderungen stehen zwar (noch) aus, die Interessenskollision ist hier jedoch auch außerhalb Hessens evident. Sie sollte bei der Überprüfung des konkreten Falles kritisch hinterfragt und zumindest mit den (im Anhang dieses Buches abgedruckten) Polizeirichtlinien des jeweiligen Bundeslandes abgeglichen werden. Eine Gewinnerzielungsabsicht steht immer im Gegensatz zum Erhalt und zur Steigerung der Verkehrssicherheit und ist daher nicht nur zivilrechtlich problematisch.[16]

 

Rz. 8

Die bloße privatrechtliche Anmietung von Messgeräten bleibt der Behörde nach alledem unbenommen. Im Gesamtzusammenhang ist jedoch mit Blick auf die Aufgabenübertragung zu prüfen, wie die jeweiligen Vertragsbedingungen ausgestaltet sind. Bereits die Überlassung des Messgeräts an die Behörde kann deren freie Verfügungsbefugnis beeinflussen, wenn sie an generierte Fallzahlen geknüpft wird. Selbst wenn die Behörde also formal über die Auswahl des Messstandorts und über die Messdauer bestimmen kann, würde das Sicherheitskriterium zumindest indirekt immer mit finanziellen Interessen infiziert.[17]

 

Rz. 9

 

Praxistipp

Die Eigentumsverhältnisse am Gerät werden z.T. im Messprotokoll vermerkt und ergeben sich grundsätzlich auch aus dem Eichschein, weshalb hierauf ein besonderes Augenmerk zu richten ist. Steht das Gerät nicht im Eigentum der Gemeinde, ist die vertragliche Ausgestaltung – insbesondere die Zahlungsmodalitäten – mit dem Messgerätehersteller zu überprüfen. Hierum muss sich die Verteidigung rechtzeitig und mit der üblichen Beharrlichkeit selbst bemühen:

Wie aus den zitierten obergerichtlichen Entscheidungen ersichtlich wird, indiziert eine Geräteüberlassung an die Kommune zumindest Anfangszweifel an deren Verfahrensherrschaft. Einen Informationsanspruch aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens wird das Gericht hier insoweit schwerlich von der Hand weisen können.

Insofern ist ein konkreter Beweis(ermittlungs)antrag rechtzeitig im Verwaltungsverfahren bei der Gemeinde zu stellen und vorsorglich mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu verknüpfen. Beim Ausbleiben der Informationen ist die Aussetzung des Gerichtsverfahrens zu beantragen und – sofern dem nicht abgeholfen wird – nochmals im Termin (schriftlich!) zu stellen.

 

Rz. 10

Nicht nur die Geräteüberlassung, sondern auch das kostensparende Outsourcing ihrer Aufgaben an fremdes Personal ist für die größtenteils klammen Kommunen aus nachvollziehbaren Gründen interessant. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass mit steigendem Umfang der übertragenen Aufgaben weg von technischen Hilfsdiensten hin zu wesentlichen hoheitlichen Maßnahmen die Zulässigkeit dieser Delegation umso fraglicher erscheint.[18] Eine Übertragung de...

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