Rz. 605

Erben eines evtl. vorversterbenden Ehegatten/Lebenspartners werden folglich stets nach Ausweichmöglichkeiten suchen, um das Erbe doch für sich behalten zu können.

 

Fallbeispiel 47: Die Trennung in der Patchworkfamilie

Die pensionierte F ist mit einem 25 Jahre älteren Ehemann M verheiratet, der als Rentner nach einer Insolvenz nur noch über Einkünfte i.H.v. rund 800 EUR monatlich verfügt. Sie hatte alle wesentlichen Ansprüche auf Versorgung vor der Ehe erworben. Die Ehegatten hatten Gütertrennung und den Verzicht auf Unterhaltsansprüche nach Scheidung vereinbart. Die Ehefrau verfügt über 1.200 EUR und eine bezahlte, selbst bewohnte 80 qm Wohnung (Wohnwert 600 EUR), die sie auf jeden Fall ihren Kindern aus erster Ehe hinterlassen will. Ihr Ehemann wird heimpflegebedürftig und sie fragt an, welche rechtlichen Konsequenzen ihr jetzt durch den notwendig werdenden Bezug von sozialhilferechtlichen Leistungen der Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) drohen, und ob sie sich lieber jetzt trennen solle, was sie ohnehin schon seit Jahren vorgehabt habe.

 

Rz. 606

Falllösung Fallbeispiel 47:

Der Ehefrau droht zu Lebzeiten die Inanspruchnahme ihres Einkommens und Vermögens nach §§ 19 Abs. 3, 82 ff., 92, 90 SGB XII im Rahmen der sozialhilferechtlichen Einsatzgemeinschaft, wenn sie sich nicht dauernd trennt. Trennt sie sich aber, drohen ggf. Trennungsunterhaltsansprüche nach § 1361a BGB, da man auf Trennungsunterhalt nicht verzichten kann. Ggf. droht die Überprüfung des Ehevertrages.

Die selbst bewohnte Immobilie ist ohne Trennung Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII. Den Kindern der Ehefrau aus erster Ehe droht aber die sozialhilferechtliche Erbenhaftung des § 102 SGB XII, wenn sie vor ihrem jetzigen zweiten Ehemann stirbt.

Ggf. kann eine Ausweichmöglichkeit darin bestehen, dass die Ehegatten dauernd getrennt leben. In diesem Fall wird die sozialhilferechtliche Einsatzgemeinschaft aufgelöst. In der Folge endet auch die Anwendbarkeit von § 102 SGB XII. Für das dauernde Getrenntleben wird auf die Grundsätze, die zum familienrechtlichen Begriff des "Getrenntlebens" i.S.d. § 1567 BGB entwickelt worden sind, abgestellt.[992]

 

Rz. 607

Grundsätzlich müssen zur Begründung des dauernden Getrenntlebens räumlichen Trennung und Trennungswillen mindestens eines Ehepartners festgestellt werden. Ein dauernder Aufenthalt in einem Pflegeheim erfüllt für sich allein noch nicht die Voraussetzungen. In einem solchen Fall ist insoweit maßgebend, ob ein erkennbarer Trennungswille besteht, der die Aufgabe der bisher noch rudimentär verwirklichten Lebensgemeinschaft betrifft.[993] Einen Automatismus dergestalt, dass fehlende räumliche Lebensgemeinschaft und schwere geistige Behinderung zum dauernden Getrenntleben führen, lehnt die Rechtsprechung ab. Nur wenn die Umstände des Einzelfalls erkennen ließen, dass durch eine anderweitige Unterbringung des einen Ehegatten die gemeinsame Lebens- und Wirtschaftsführung der beiden Ehegatten dauernd aufgegeben werde, gelte etwas anderes.[994]

 

Rz. 608

Der Entscheidung über das dauernde Getrenntleben bei Sozialhilfebezug zur Vermeidung der sozialrechtlichen Erbenhaftung muss immer eine Vielzahl komplizierter Vorüberlegungen vorausgehen. Zum einen bleibt es auch trotz Trennung ohne Scheidung mindestens beim Pflichtteilsanspruch des anderen Ehegatten. Zum anderen muss gegeneinander abgewogen werden, ob es lebzeitig günstiger ist, als Ehegatte sozialhilferechtlich (§§ 19 Abs. 2, 3, 92a, 82–87 SGB XII) aus eigenem Einkommen und Vermögen oder stattdessen auf Trennungs- und ggf. Nachscheidungsunterhalt in Anspruch genommen zu werden.

[992] BSG v. 16.4.2013 – Az.: B 14 AS 71/72 R, SozR 4–4200 § 9 Nr. 12; BSG v. 18.2.2010 – Az.: B 4 AS 49/09 R, BSGE 105, 291.
[993] BSG v. 19.2.2009 – Az.: B 10 LW 3/0 R, BSG NZS 2009, 677 m.w.N.; bejahend LSG Rheinland-Pfalz v. 27.1.2005 – Az.: L 1 AR 156/04
[994] BSG v. 16.4.2013 – Az.: B 14 AS 71/72 R, SozR 4–4200 § 9 Nr. 12.

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