Rz. 82

Das Zuflussprinzip, das für den Rechtscharakter einer Einnahme auf den tatsächlichen Zufluss abstellt, modifiziert diesen Grundsatz auch, wenn es um Forderungen geht.

Die Rechtsprechung geht zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was wertmäßig zufließt, und dem, was bereits vorhanden ist, davon aus, dass Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden. Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, ordnet das BSG sie zwar dem Vermögen zu, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (z.B. noch nicht erfüllte Forderung für zurückliegende Monate), macht sie aber beim tatsächlichen Zufluss zu Einkommen. BVerwG und BSG sehen zwar, dass die Erfüllung einer Forderung (z.B. ein Pflichtteils- oder Vermächtnisanspruch), die bereits vor dem Bedarfszeitraum bestand, keinen Gesamtvermögenszuwachs mehr auslöst und deshalb der Zufluss eigentlich eine bloße Vermögensumschichtung ist und deshalb dem Vermögen zugerechnet werden müsste. Sie räumen aber dem Zufluss der Einnahmen bei der Forderung den Vorrang ein.[158] Aus § 82 SGB XII wird die Wertung entnommen, dass im Falle der Auszahlung einer Forderung sozialhilferechtlich grundsätzlich nicht das Schicksal der Forderung interessiere, sondern das Gesetz insofern allein auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen abstelle.[159]

 

Rz. 83

Eine vor dem Bedarfszeitraum erworbene Forderung soll als noch nicht realisierte Forderung Vermögen sein. Wird sie im Bedarfszeitraum realisiert, wird sie als realisierter "Zufluss" im Leistungszeitraum als Einkommen behandelt.[160] Danach steht z.B. der Vermögenswert einer geerbten Unterhaltsforderung der rechtlichen Bewertung der Auszahlung als Einkommen i.S.d. § 82 SGB XII nicht entgegen.[161]

 

Rz. 84

Gleiches soll nach der Rechtsprechung für Pflichtteils- und Vermächtnisansprüche gelten, wenn sie schon vor dem Bedarfszeitraum bestanden haben. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH[162] wonach der Pflichtteilanspruch nach § 2317 Abs. 1 BGB bereits mit dem Erbfall als Vollrecht begründet ist, geht das BSG für das SGB II davon aus, dass ein Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB zum Vermögen gehören kann.[163] Hiervon wird die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs gem. § 2317 BGB in dem maßgeblichen Zeitraum nach Antragstellung unterschieden. Da es sich bei dem Pflichtteilsanspruch, der mit dem Tod des Erblassers entsteht und sich gegen den Erben oder die Erbengemeinschaft richtet, um eine gewöhnliche Geldforderung handelt, die vererblich und übertragbar ist, handelt es sich im Zeitpunkt des realen Zuflusses des Geldbetrags um Einkommen.[164] Diese Beurteilung steht nicht in Widerspruch zu der Qualifizierung des Pflichtteilsanspruchs als Vermögen. Insoweit weist das BSG im vergleichbaren SGB II darauf hin, dass die schuldrechtliche Unterscheidung zwischen der auf Zahlung eines Betrages gerichteten Forderung – der Pflichtteilsanspruch – und der Erfüllung der Forderung durch Auszahlung nicht zu einer Konkurrenz dergestalt führe, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Eine Forderung könne – als ein nicht bereites Mittel – ein Vermögensgegenstand sein.[165] Mit Auszahlung der Forderung handele es sich – im Rahmen des tatsächlichen Zuflusses – um bereite Mittel im Sinne von Einkünften. Auf das Schicksal der Forderung komme es gerade nicht an.[166]

 

Rz. 85

Die Praxis tut sich angesichts dieser Feindifferenzierung der Rechtsprechung mit der Abgrenzung von Einkommen zu Vermögen bei Forderungen sehr schwer. Die Schwierigkeiten werden nicht kleiner, wenn man verstehen will, was das BSG meint, wenn es in einem Fall, bei dem eine Forderung im Bedarfszeitraum erworben, aber erst Jahre später fällig wurde, sagt:

"Die Nichtberücksichtigung als Einkommen berücksichtigt freilich keinen umfassenden Schutz davor, die Mittel als Vermögen zur Lebensunterhaltssicherung verwenden zu müssen."[167]

In der zitierten Entscheidung aus 2008 hat das BSG aus einer an sich als Einkommen im Bedarfszeitraum zu qualifizierenden Forderung zunächst Vermögen gemacht, weil wegen des weit nach hinten verschobenen Fälligkeitszeitpunkts nichts Bedarfsdeckendes zur Verfügung stehe. Aber dann – so Hengelhaupt[168] – könne sie nur in den Grenzen der Vermögensfreibeträge privilegiert werden. Das dahinterstehende Prüfungsschema scheint Folgendes zu sein:

Der tatsächliche Erwerb der Forderung im Bedarfszeitraum/Antragszeitraum führt zu Einkommen i.S.d. § 82 SGB XII.
Ein realer Zufluss, der noch nicht "versilbert" wurde, kann keinen realen Bedarf decken, stellt also kein "bereites" Mittel dar, also keine Anwendung der §§ 82 ff. SGB XII.
Nicht verbrauchtes Einkommen soll dann Vermögen (§ 90 SGB XII) sein mit einer anderen Verwertbarkeitsdauer als das Einkommen.

Ist die Forderung auch unter den Anforderungen des § 90 SGB XII nicht verwertbar, wird abgewartet, bis die Forderun...

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