Rz. 523

 

Fallbeispiel 39: Der Verzicht auf die bereits angefallene Erbschaft

S und seine fünf Geschwister sind Erben ihrer Tante zu gleichen Teilen geworden. S bezieht seit zehn Jahren Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII. Die Geschwister raten zur Ausschlagung bzw. zum Verzicht auf den Erbteil. Sie wollen mit ihm einen Vertrag schließen, in dem sie sich verpflichten, ihm Leistungen wie bei einem Behindertentestament zu erbringen. Der Betreuer des Sohnes S fragt an, ob das möglich sei. Für S habe die Erbschaft keinen Nutzen. Die Geschwister könnten ihren Bruder damit sicherlich besser unterstützen

 

Rz. 524

Die Ausschlagung einer Erbschaft an sich ist nach Rechtsprechung des BGH zulässig. Hierzu bedarf der Betreuer der Genehmigung des Betreuungsgerichtes.

Der Verzicht auf ein einmal angefallenes, nicht mehr ausschlagbares Erbe ist dagegen schwieriger zu beurteilen. Ein Erbverzicht nach §§ 2346 ff. BGB kommt nicht in Betracht, da er sich auf die Zeit vor dem Tod des Erblassers bezieht. Das gilt auch für den Zuwendungsverzicht.

 

Rz. 525

Der "Verzicht" auf einen schon entstandenen Pflichtteilsanspruch ist wie der Verzicht auf einen angefallenen Erbteil ein Fall, bei dem die bereits bestehende Schuld nach § 397 BGB durch Erlassvertrag zum Erlöschen gebracht wurde. Nur dingliche Rechte können durch einseitige Erklärung aufgehoben werden (z.B. § 875 BGB). Der Erlassvertrag wird typischerweise aufgrund eines anderen für den Erlass kausalen Rechtsgeschäfts abgeschlossen.[876]

Die Rechtsprechung dazu ist überaltert und die Literatur dünn und zumeist zum Pflichtteilsanspruch.[877] Es ist aber fraglich, ob wirklich Raum für die Prüfung der Wirksamkeit des Erlassvertrages bleibt, denn jedenfalls der pauschale Hinweis auf § 138 BGB reicht allein nicht aus,[878] um einen solchen Erlassvertrag zu Fall zu bringen. Das LG Mosbach geht neuerdings sogar so weit anzunehmen, dass der nachträgliche "Erlass" eines Pflichtteilsanspruchs unter die Fälle der negativen Erbfreiheit falle. Auch mit dem Erlassvertrag übe der Leistungsberechtigte seine Privatautonomie aus, die aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet werde.[879] In diesem Sinne argumentiert auch die Literatur, dass "deckungsgleiche Anordnungen in einem Behindertentestament nicht für sittenwidrig gehalten würden."[880]

Es ist fraglich, ob das zutreffend ist, denn zum einen trifft im Behindertentestament der Erblasser die Anordnungen und nicht die Erben, zum anderen hätte der Gesetzgeber dem Pflichtteilsberechtigten wie dem Erben ein Ausschlagungsrecht geben können, wenn er dieses Ergebnis erbrechtlich gewollt hätte. Letztlich kommt es darauf aber nur bedingt an.

 

Rz. 526

Denn es ist zu prüfen, welche Rechtsfolgen mit einem ein solchen Verzicht/Erlass verbunden sind. § 517 BGB bestimmt, dass eine Schenkung nicht vorliegt, wenn jemand zum Vorteil eines anderen einen Vermögenserwerb unterlässt oder auf ein angefallenes, noch nicht endgültig erworbenes Recht verzichtet oder eine Erbschaft oder ein Vermächtnis ausschlägt. Folglich kann insoweit kein Schenkungsrückforderungsanspruch entstehen. Pflichtteilsansprüche und nicht ausgeschlagene Erbschaften sind aber endgültig entstanden und im Vermögen des Betroffenen. Der unentgeltliche "Verzicht" auf eine endgültig angefallene Erbschaft/einen Pflichtteilsanspruch ist ein Erlassvertrag (§ 397 BGB), der formlos gültig ist. Der entschädigungslose Verzicht auf eine vermögenswerte Rechtsposition, der mit einer Schenkung einhergeht, führt zu einem sozialhilfeschädlichen Schenkungsrückforderungsanspruch,[881] wenn der Schenker bedürftig ist und z.B. § 529 BGB nicht greift.

 

Rz. 527

Beim schenkweise erfolgten Erlass liegt in dem Abschluss des Erlassvertrages der Vollzug der Schenkung.[882]

 

Hinweis

Eine Schenkung soll nicht in Betracht kommen, wenn der Erlassvertrag unter § 534 BGB, also die Pflicht- bzw. Anstandsschenkung, fällt. Das LG Mosbach[883] hat dazu entschieden, dass es die sittliche Pflicht gebiete, seinen Pflichtteil dann nicht geltend zu machen, wenn ansonsten der Verlust des Eigenheims der Mutter drohe.

 

Rz. 528

Bei der Erbengemeinschaft kann ein Miterbe außer durch Erbteilsübertragung (Verkauf/Schenkung) seine Mitgliedschaft an der Erbengemeinschaft auch durch Ausscheidungsvereinbarung/Abschichtung beenden.[884] Neben den damit verbundenen vielschichtigen rechtlichen Problemen (betreuungsgerichtliche Genehmigung; Steuerfragen durch Anwachsung bei den anderen Erben, etc.) muss man sich aber so oder so fragen, was alles geschehen muss, um eine Schenkun und damit einen Schenkungsrückforderungsanspruch zu verhindern. Das scheint kaum möglich.

 

Rz. 529

Außerdem muss man die sozial(hilfe)rechtlichen Konsequenzen im Auge behalten. Und dabei gilt, dass man im Blick haben muss, aus welchen Sozialleistungsgesetzen der Betroffene Leistungen erhält, denn jedes System reagiert auf ein "Sichbedürftigmachen" nach eigenen Regeln. Das Sozialhilferecht des SGB XII hat eigene, vorrangige Leistungsstörungsregeln, mit denen es auf das Vorsätzlich-Sich-Bedürftigmachen re...

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