Rz. 279

Die Anordnung der Testamentsvollstreckung – häufig angekoppelt an die Anordnung von Vorerbschaft/Nacherbschaft oder Vorvermächtnis/Nachvermächtnis – wird ab und an als absolutes Verwertungshindernis im sozialhilferechtlichen Leistungstatbestand angesehen.[477] Das ist so nicht richtig.

Die Anordnung der Testamentsvollstreckung weist dem Testamentsvollstrecker nach § 2205 BGB das Recht der Nachlassverwaltung zu. Nach § 2205 BGB hat der Testamentsvollstrecker den Nachlass zu verwalten und ist berechtigt, über die Nachlassgegenstände zu verfügen. Über einen der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstand kann der Erbe gem. § 2211 BGB nicht verfügen.[478] Auch Miterben ist die Verfügung entzogen.[479] Der Entzug des Verfügungsrechts des Erben hat dingliche Wirkung.[480] Die Verfügungsbeschränkung des Erben gilt auch für dessen gesetzlichen Vertreter, Betreuer, Vormund oder Pfleger.

 

Rz. 280

Verfügt der Erbe dennoch, ist ein Rechtsgeschäft zwar nicht nichtig, aber die Verfügung ist sowohl gegenüber dem Testamentsvollstrecker als auch gegenüber jedermann absolut unwirksam. Der Erbe wird aus dem vorgenommenen Rechtsgeschäft persönlich verpflichtet. Der Testamentsvollstrecker muss aber nicht erfüllen. Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, können sich nach § 2214 BGB nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten.

 

Rz. 281

Aufgrund dieses Normgeflechts entsteht an dem der Verwaltung unterworfenen Vermögen – einschließlich seiner Erträgnisse[481] – ein für den Erben nicht frei verfügbares Sondervermögen,[482] das grundsätzlich auch im sozialhilferechtlichen Leistungstatbestand seine Wirkung entfaltet.[483] Das gilt aber nicht absolut. Zum einen ist es nicht zwingend, dass sich die Anordnung der Testamentsvollstreckung auf den gesamten Nachlass bezieht, zum anderen kann Testamentsvollstreckung ganz oder teilweise erloschen sein und letztlich können auch trotz Testamentsvollstreckung Herausgabeansprüche gegenüber den Testamentsvollstrecker bestehen, die sozialhilferechtlich als Einkommen (§§ 82 ff. SGB XII) oder Vermögen (§ 90 SGB XII) einsatz- und verwertungspflichtig sein können.

 

Rz. 282

Es geht also bei Fällen mit (Dauer-)Testamentsvollstreckung sozialhilferechtlich nicht mehr um die Rechtsfrage: "Was ist eine Erbschaft sozialhilferechtlich?", sondern darum: "Unter welchen Voraussetzungen wirkt die Testamentsvollstreckung und unter welchen Voraussetzungen hat der unter Testamentsvollstreckung stehende Begünstigte einen Anspruch auf Herausgabe von Nachlassmitteln gegenüber dem Testamentsvollstrecker, aus dem man bedarfsdeckendes Einkommen oder Vermögen i.S.d. SGB XII generieren kann?"

 

Rz. 283

Das sozialhilferechtliche Prüfungsschema für Möglichkeiten des "Zugriffs" durch den Sozialhilfeträger lautet:

Ein sozialhilferechtlicher Anspruch entsteht, wenn der Hilfesuchende bedürftig ist. Er ist nicht bedürftig, wenn ihm normativ nicht geschütztes und zur Bedarfsdeckung geeignetes Einkommen (§§ 82 ff. SGB XII) oder Vermögen (§ 90 SGB XII) zu Verfügung steht.
Ein Erbfall und die daraus resultierenden Zuflüsse während des Bedarfszeitraums/Antragszeitraums führen zu sozialhilferechtlichen Mitteln. Sie sind zur Bedarfsdeckung ungeeignet, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht verfügbar oder aus anderen Gründen normativ geschont sind. Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung kann ein rechtliches Verfügungshindernis für den Erben schaffen.
Ein Verfügungshindernis besteht nicht, wenn die Testamentsvollstreckung nicht oder nicht mehr besteht bzw. sich nicht auf den gesamten Nachlass bezieht. Umfang und zeitliche Dauer der Testamentsvollstreckung sind zu prüfen.
Ein Verfügungshindernis aus Testamentsvollstreckung hat seine Grenze bei den Herausgabepflichten des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Erben/Vermächtnisnehmer.
Herausgabepflichten sind nach §§ 2218, 671 BGB, § 2217 BGB, § 2216 Abs. 2 BGB und nach den Regeln der ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 2216 Abs. 1 BGB) in jedem Einzelfall zu prüfen.
Eine Herausgabepflicht an sich schafft noch keine "bereiten" Mittel zur Bedarfsdeckung. Ist eine Realisation prognostisch im Bewilligungszeitraum nicht zu erreichen, muss Sozialhilfe gewährt werden.
Ist die Herausgabe während des Sozialhilfebezuges erfolgt, sind eine "Erbschaft"/ein Vermächtnis nach der Rechtsprechung des BSG sozialhilferechtlich Einkommen. Handelt es sich um Nutzungen der Erbschaft, handelt es sich unabhängig davon ohnehin immer um Einkommen und nicht um Vermögen. Der Sozialhilfeträger hat den Zufluss dann als Einkommen[484] grundsätzlich anzurechnen.
Eine Anrechnung oder Verwertung entfällt auch dann, wenn Schontatbestände greifen. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Testamentsvollstrecker nicht angewiesen wird, Geldmittel oder Gegenstände, die gut zu "versilbern" sind, zuzuwenden, denn damit kann man einen sozialhilferechtlichen Bedarf decken. Wenn die herausgegebenen Nutzungen des ...

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