Rz. 298

In der von Schmidl geschilderten Situation, bei der die Kosten der Erhaltung des Nachlasses die Erträge aufzehren, kommt dem Vorerben erkennbar auf lange Sicht oder auch nie etwas aus dem Nachlass zugute. Ein Nachlass kann auch – je nach Zusammensetzung in zinslosen Zeiten – keinen Ertrag haben. Dann kann die Nachlasssubstanz nicht einmal erhalten werden, vielweniger noch, dass etwas für den Vorerben übrigbleibt, was nach den Anweisungen des "fürsorglichen" Erblassers an den bedürftigen Vorerben ausgekehrt werden könnte.

 

Rz. 299

Das widerspricht den "Basics", mit denen der BGH die Wirksamkeit von Behindertentestamenten von Eltern für ihre "Kinder" seit 1990 begründet hat (vgl. dazu ausführlich in § 11).

 

Rz. 300

Der Anspruch auf Mindestteilhabe am Nachlass, den der BGH als Grenze der Testierfreiheit beschreibt, kann bei einem Nullertrag des Nachlasses oder einem unmöglich gemachten Herausgabeanspruch dadurch erreicht werden, dass der Vorerbe seine Mindesteilhabe am Nachlass durch Ausschlagung nach § 2306 BGB realisiert.

In einer solchen Situation ist die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches nach § 2306 BGB für jeden nicht bedürftigen Vorerben das einzig richtige Mittel der Wahl, um wenigstens seine Mindestteilhabe am Nachlass zu garantieren. Fraglich ist, warum das für einen bedürftigen Vorerben/Vorvermächtnisnehmer anders sein soll:[519]

 

Rz. 301

Ohne Ausschlagung gibt es mangels eines Ertrags keine Zuflüsse für den Vorerben, lediglich der Nacherbe wird begünstigt.

Mit der Ausschlagung gibt es keine Begünstigung des Vorerben, weil er den Zufluss sozialhilferechtlich und damit zugunsten der Solidargemeinschaft einsetzen muss. Das aber entspricht dem Gedanken des Subsidiaritätsprinzips nach § 2 SGB XII. Die Mindestteilhabe am Nachlass zu generieren, ist nicht unzumutbar. Und der BGH hat in seinen Entscheidungen immer darauf hingewiesen, dass die Nutzung der erbrechtlichen Möglichkeiten die sozialhilferechtlichen Regeln deshalb nicht außer Kraft setzt. Ausdrücklich heißt es dort z.B.:

Zitat

"Im Übrigen könnte die Sozialhilfe allerdings gem. §§ 25 Abs. 2 Nr. 1, 29a BSHG (Anm.: heute § 26 SGB XII) bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden, wenn der Behinderte eine durch Nacherbfolge beschränkte Erbschaft allein in der Absicht nicht ausschlägt, den Nachlass seiner Eltern der Familie zu erhalten und die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe herbeizuführen, obwohl der Pflichtteil zu einer lebenslangen, umfassenden Versorgung des Behinderten ausreicht."[520]

"Der Verzicht auf eine Erwerbsquelle ändert nichts an der Verpflichtung, vorhandenes Vermögen und vorhandene Einkünfte einzusetzen. Die pflichtwidrige Herbeiführung der eigenen Bedürftigkeit kann innerhalb des sozialrechtlichen Regelungssystems mit Leistungskürzungen sanktioniert werden (vgl. § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII)."[521]

 

Rz. 302

Die sozialhilferechtlichen Obliegenheiten zur Selbsthilfe werden also nicht verdrängt und ihre Erfüllung kann vom Sozialhilfeträger verlangt werden. Verstöße dagegen können unter Berücksichtigung der Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalles mit den Mitteln des Sozialhilferegresse sanktioniert werden.[522] Das wird von einzelnen Sozialgerichten unter Bezugnahme auf die Entscheidung zum Pflichtteilsverzicht genau gegenteilig beurteilt. Ein Bedürftiger brauche sich nicht entgegenhalten zu lassen, dass er es unterlassen habe, gem. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB das Erbe als Vorerbe auszuschlagen und stattdessen einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Da selbst der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialhilfeempfängers nicht sittenwidrig sei, könne dem Bedürftigen auch nicht vorgeworfen werden, er habe einen möglichen Anspruch auf einen nicht im Wege der Vorerbenstellung eingeschränkten Pflichtteil nicht realisiert.[523] Das ist nach diesseitiger Ansicht nach der Struktur des Sozialhilferechtes in dieser Allgemeinheit aber nicht richtig. Es kommt auf den Einzelfall an.

Einigkeit besteht, dass das Recht auf Ausschlagung nach § 2306 BGB nicht auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden kann.

[519] Hierzu auch ausführlich Bieritz-Harder/Conradis/Thie/Geiger, LPK-SGB XII, § 90 Rn 133 ff.
[522] I.d.S. vorsichtig auch Bieritz-Harder/Conradis/Thie/Geiger, LPK-SGB XII, § 90 Rn 137 ff. und gleichzeitig ablehnend in Rn 25 unter Hinweis auf Rechtsprechung.

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