Rz. 69

Die Neuregelung des § 111 HGB über die Anfechtungsbefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis (wohingegen § 111 HGB alt die Verzinsungspflicht geregelt hatte) hat folgenden Wortlaut:

 

(1) Anfechtungsbefugt ist jeder Gesellschafter, der oder dessen Rechtsvorgänger im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gesellschaft angehört hat.

(2) Ein Verlust der Mitgliedschaft nach dem Zeitpunkt der Beschlussfassung lässt das Rechtsschutzbedürfnis des Rechtsvorgängers unberührt, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Führung des Rechtsstreits hat“.

Nach § 110 Abs. 1 HGB kann ein Beschluss der Gesellschaft wegen Verletzung von Rechtsvorschriften durch Klage auf Nichtigerklärung angefochten werden (Definition der Anfechtungsklage i.S.v. § 113 HGB) mit der Folge, dass der Beschluss, nachdem er durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist, von Anfang an (ex tunc) nichtig ist.

1. Anfechtungsbefugnis

 

Rz. 70

Anfechtungsbefugt (vgl. § 245 AktG) ist nach § 111 Abs. 1 HGB jeder Gesellschafter,

der (selbst) oder
dessen Rechtsvorgänger

im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gesellschaft angehört hat.

 

Beachte:

Keine Anfechtungsbefugnis hat ein nicht in Rechtsnachfolge der Gesellschaft beigetretener Gesellschafter in Bezug auf vor seinem Beitritt gefasste Beschlüsse,[147] bzw. ein Gesellschafter, der nach erfolgter Beschlussfassung seinen Gesellschaftsanteil an einen anderen übertragen hat (vgl. Wortlaut des § 111 Abs. 1 HGB).[148]

Die Anfechtungsbefugnis als aus der Mitgliedschaft (d.h. der Gesellschafterstellung) folgendes materiell-rechtliches Verwaltungsrecht (Sachbefugnis) ist vom Feststellungsinteresse zu unterscheiden.[149]

Die Anfechtungsbefugnis eines jeden Gesellschafters – und zwar unabhängig von seiner individuellen Betroffenheit und dem Umfang seiner Beteiligung – als aus der Mitgliedschaft folgendes Verwaltungsrecht (zum Schutz der Gesellschaftsminderheit)[150] verschafft jedem Gesellschafter die "Möglichkeit, auf die Willensbildung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen".[151]

Im Falle einer Änderung im Gesellschafterbestand nach erfolgter Beschlussfassung gilt für die Anfechtungsbefugnis Folgendes:[152]

Bei Neueintritt eines Gesellschafters in die Gesellschaft geht die Anfechtungsbefugnis des Rechtsvorgängers auf den neu eintretenden Gesellschafter über.
Einem Gesellschafter, der der Gesellschaft ohne Rechtsnachfolge beitritt, fehlt hingegen die Anfechtungsbefugnis.

Der Gesellschafter muss – anders als im Aktienrecht – dem Beschluss im Rahmen oder nach der Beschlussfassung nicht widersprochen haben, um anspruchsberechtigt zu sein. Er braucht noch nicht einmal zu der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung erschienen sein.[153]

Dies liegt darin begründet, dass nach Ansicht des Gesetzgebers das Beschlussverfahren im Personenhandelsgesellschaftsrecht "nicht in gleicher Weise formalisiert zu werden wie im Aktienrecht".[154]

[147] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 230.
[148] Schäfer/Grunewald, § 5 Rn 78: Hier soll der Rechtsvorgänger, der vor der Übertragung des Gesellschaftsanteils bereits Anfechtungsklage erhoben hat, "den Rechtsstreit gemäß § 265 ZPO unter der Bedingung fortführen [können], dass er ein rechtliches Interesse an der Fortsetzung hat".
[149] Schäfer/Grunewald, § 5 Rn 76.
[150] Schäfer/Grunewald, § 5 Rn 80.
[151] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 230.
[152] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 230.
[153] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 230. Arg.: geringer Formalisierungsgrad des Beschlussverfahrens im Personenhandelsgesellschaftsrecht.
[154] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 230.

2. Rechtsschutzbedürfnis bei Verlust der Mitgliedschaft

 

Rz. 71

Ein Verlust (Beendigung) der Mitgliedschaft nach dem Zeitpunkt der Beschlussfassung lässt nach § 111 Abs. 2 HGB das Rechtsschutzbedürfnis des Rechtsvorgängers (Altgesellschafter) unberührt, wenn er (anders als im Aktienrecht)[155] ein berechtigtes Interesse an der Führung des Rechtsstreits hat. Die Anfechtungsbefugnis als aus der Mitgliedschaft folgendes Verwaltungsrecht (s. vorstehende Rdn 68) besteht also auch dann noch fort, wenn der Gesellschafter seine Mitgliedschaft nach der Beschlussfassung verloren hat. Er kann den Rechtsstreit anstelle seines Rechtsnachfolgers selbst (fort-)führen, wenn er hieran ein berechtigtes Interesse hat (kein automatischer Verlust des Rechtsschutzbedürfnisses bei Verlust der Mitgliedschaft).

Ein "berechtigtes Interesse" ist bspw. dann anzunehmen, "wenn ein Gesellschafter den Beschluss über seine Ausschließung angreift oder der Beschluss Auswirkungen auf die Werthaltigkeit seines Anteils beziehungsweise die Höhe seiner Abfindung haben kann".[156]

 

Beachte:

Aufgrund des Grundsatzes der Selbstorganschaft ist hingegen ein Dritter, d.h. ein außerhalb der Gesellschaft Stehender, nicht anfechtungsbefugt.[157]

[155] Im Aktienrecht muss die Mitgliedschaft zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch fortbestehen: vgl. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32, juris Rn 6 = NJW-RR 2011, 976. Geht die Mitgliedschaft erst nach dem Zeitpunkt der Klageerhebung verloren, kann der Aktionär den Anfechtungsprozess analog § 265 Abs. 2 ZPO fortführen, wenn er...

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