Rz. 94

Wendet man einem sozialhilfegefährdeten Pflichtteilsberechtigten einen Erbteil zu, der durch die Anordnung einer Dauer- oder Verwaltungsvollstreckung und einer Nacherbschaft gegen den Zugriff durch den Sozialhilfeträger geschützt ist (§§ 2214, 2100 ff. BGB), so stellt sich die Frage, ob der Sozialhilfeträger das dann dem Pflichtteilsberechtigten nach § 2306 Abs. 1 BGB zustehende Ausschlagungsrecht nach § 93 SGB XII bzw. § 33 SGB II überleiten könnte. Damit könnte er die ganze Gestaltung zu Fall bringen und auf den dadurch entstehenden Pflichtteilsanspruch zugreifen. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Frage beim Behindertentestament[205] und beim sog. Bedürftigentestament für den Empfänger von "Hartz IV" in der Form der Erbschaftslösung.

Der BGH hat in zwei Entscheidungen diese Frage ausdrücklich offengelassen.[206] Für die Beantwortung der Streitfrage ist zunächst davon auszugehen, dass das Ausschlagungsrecht höchstpersönlich[207] und nicht selbstständig übertragbar ist. Dann aber kann es auch ein Sozialhilfeträger nicht isoliert nach § 93 SGB XII überleiten, zumal es ein Gestaltungsrecht und kein Anspruch ist.[208] Er erhält es aber auch nicht entsprechend § 401 BGB, wenn er den Pflichtteilsanspruch bereits vor der Ausschlagung auf sich überleitet: Denn nur unselbstständige Gestaltungsrechte gehen automatisch als Annex über. Dies gilt aber nicht für solche, die zu einer völligen Umgestaltung des Schuldverhältnisses führen und – wie hier – eine Wesensänderung der Entscheidungssituation bedingen. Denn der Sozialhilfeträger ließe sich von ganz anderen (fiskalischen) Entscheidungskriterien leiten als der pflichtteilsberechtigte Erbe.[209] Für ein Vermächtnis wird dies teilweise anders gesehen: Als schuldrechtliche Forderung könne dieses nach § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII übergeleitet werden. Damit aber gehe auch das Ausschlagungsrecht als akzessorisches Sicherungsrecht nach §§ 412, 401 BGB über.[210] Jedoch steht auch hier der Schutz der höchstpersönlichen Ausschlagungsentscheidung der Überleitung entgegen.[211]

[205] Dazu etwa Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, 2006, Rn 299 ff.
[206] BGHZ 123, 368, 379; BGH NJW-RR 2005, 369 = ZEV 2005, 117.
[207] Soergel/Stein, § 1952 Rn 1; Staudinger/Otte, § 1952 Rn 1.
[208] Karpen, MittRhNotK 1988, 131, 149; Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 464.
[209] BGHZ 188, 96 = NJW 2011, 1586; dazu auch Ivo, DNotZ 2011, 387; Kleensang, ZErb 2011, 121; Dreher/Görner, NJW 2011, 1761; Wendt, ZNotP 2011, 362; kritisch Röthel, LMK 2011, 317533; J. Mayer, DNotZ 1994, 347, 355; Staudinger/Otte, § 1942 Rn 16; i.E. ebenso NK-BGB/Bock, § 2306 Rn 35 Fn 47; van de Loo, ZEV 2006, 473, 474 ff.; jurisPK-BGB/Birkenheier, § 2317 Rn 25; Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2317 Rn 48b m.w.N.; Krampe, AcP 191 (1991), 526, 532; Eberl-Borges/Schüttlöffel, FamRZ 2006, 587, 595; Nieder, NJW 1994, 1264, 1266; Kuchinke, FamRZ 1992, 363, van de Loo, ZEV 2006, 473, 474 ff. m. ausf. Begründung; dem offenbar auch zuneigend Wendt, ZNotP 2008, 2, 12, der zu Recht auf die Notwendigkeit der Rechtssicherheit hinweist, dass im Erbfall die Erbfolge so weit wie möglich feststehen muss; offenlassend BGH NJW-RR 2005, 369 = ZEV 2005, 117; a.A. früher van de Loo, MittRhNotK 1989, 233, 249; ders., NJW 1990, 2856, der dabei verkannte, dass damit das von ihm propagierte Behindertentestament "tot" wäre.
[210] Siehe van de Loo, ZEV 2006, 473, 477 f.
[211] Ebenso BGHZ 188, 96 = NJW 2011, 1586; dazu auch Ivo, DNotZ 2011, 387; Kleensang, ZErb 2011, 121; Dreher/Görner, NJW 2011, 1761; Wendt, ZNotP 2011, 362; kritisch Röthel, LMK 2011, 317533.

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