Rz. 59

Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen (auch konkludent – ergebnisoffen) ausgehandelt sind[324] (mithin eine Individualvereinbarung vorliegt – Notwendigkeit, dass der Kerngehalt einer Allgemeinen Geschäftsbedingung inhaltlich ernsthaft zur Disposition gestellt wird mit der realen Möglichkeit für den Vertragsgegner, die Vertragsklauseln in seinem eigenen Interesse abzuändern),[325] wodurch die AGB-Definition des § 305 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB sowie der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB eine Einschränkung erfährt. "Eine als “unabdingbar’ oder “unverhandelbar’ bezeichnete Klausel erfüllt diese Voraussetzungen keinesfalls."[326] – "Nur nach dem Willen des Vertragspartners abgeänderte AGB sind als “ausgehandelte’ Vertragsbestimmungen i.S.d. § 305 I 3 BGB anzuerkennen."[327]

Beachte auch Reformvorschläge, wonach als Merkmal eines Individualvertrags eine "bewusste Erklärung beider Vertragsparteien" gelten soll.[328]

 

Beachte zudem

Auch vorformulierte Klauseln des Verwenders können im Einzelfall Gegenstand und Ergebnis von Individualabreden sein.[329]

Eine Allgemeine Geschäftsbedingung – so der BGH[330] – verliert aber nicht allein dadurch ihren Charakter als nach den §§ 305 ff. BGB der Inhaltskontrolle unterliegende Klausel, dass sie von den Parteien nachträglich geändert wird: Vielmehr müsse die nachträgliche Änderung in einer Weise erfolgen, die es rechtfertigt, sie wie eine von vornherein getroffene Individualvereinbarung zu behandeln. Das sei nicht der Fall, wenn der Verwender auch nach Vertragsschluss dem Vertragspartner keine (reale) Gestaltungsfreiheit eingeräumt hat und die Parteien auf dieser Grundlage eine Einigung finden, mit der die nachteilige Wirkung der Klausel lediglich abgeschwächt wird.[331] Denn in diesem Fall wirke die zum Nachteil des Vertragspartners unangemessen ausgeübte Gestaltungsmacht des Verwenders fort. Habe der Verwender in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in unangemessener Weise eine Vorleistungspflicht des Kunden vorgesehen, bestehe er auf die Bitte des Kunden, diese zu ändern, darauf, dass dieser vorzuleisten hat, und sei er lediglich bereit, den Umfang der Vorleistungspflicht zu reduzieren, so wirke die unwirksame Vereinbarung der Vorleistungspflicht jedenfalls dann fort, wenn weiterhin eine unangemessene Vorleistung gefordert werde.

 

Beachte

Damit ist aber die bloße Streichung einer vorformulierten Vertragsstrafenregelung in einem Formular bei paralleler – unveränderter und handschriftlicher – Verankerung dieser Klausel an anderer Stelle mit dem Zusatz "ausgehandelt" unzureichend: keine Annahme einer Individualvereinbarung.[332]

 

Rz. 60

Ein "Aushandeln" setzt voraus, dass der Verwender änderungsbereit ist und dies dem anderen Teil auch ernsthaft kundtut,[333] was sich regelmäßig in einer erkennbaren Änderung des vorformulierten Textes niederschlägt. Dies liegt darin begründet, dass es dem Schutzzweck der §§ 305 ff. BGB entspricht, die Regelungen auch im Rahmen der Inhaltskontrolle zur Anwendung gelangen zu lassen,[334] damit der Verwender nicht einseitig die Vertragsgestaltungsfreiheit zu seinen Gunsten auslegt.[335] "Auf ein “im Einzelnen Aushandeln’ i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB durch den anderen Vertragsteil kann und darf er nicht hoffen, es sei denn, er stellt den “gesetzesfremden Kerngehalt’ der formulierten Klausel ernsthaft zur Disposition, um ihm die “reale Möglichkeit’ einzuräumen, den Vertrag nach seinen eigenen Interessen und Vorstellungen autonom zu gestalten."[336]

 

Rz. 61

Eine Allgemeine Geschäftsbedingung ist von einer Individualvereinbarung abzugrenzen, da § 305 lit. b BGB (als Ausdruck eines funktionellen Rangverhältnisses zwischen Individualvereinbarung und Allgemeiner Geschäftsbedingung)[337] den Vorrang (auch zugunsten des Verwenders)[338] der Individualabrede postuliert: Individuelle Vertragsabreden (individuell ausgehandelte Vereinbarungen) haben Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen (auch zugunsten des Verwenders).[339] Spezielle Abreden gehen also allgemeinen vor,[340] da dies dem Willen der Vertragsparteien entspricht (arg.: Allgemeine Geschäftsbedingungen sollen als vorformulierte allgemeine Regelungen und Ersatz des abgedungenen dispositiven Gesetzesrechts Individualabreden der Vertragsparteien nur ergänzen oder ausfüllen).[341] Sie verdrängen eine widersprechende AGB-Klausel. § 305 lit. b BGB entspricht wörtlich § 4 AGB-Gesetz (alt).

 

Rz. 62

Eine Verletzung des Vertrags nach § 305 lit. b BGB ist Unwirksamkeitsgrund,[342] d.h. Klauseln, die im Widerspruch zu einer Individualvereinbarung stehen, sind unwirksam.[343] Ein in einem Formulararbeitsvertrag vereinbartes Schriftformerfordernis für Vertragsänderungen führt allerdings nicht zur Nichtigkeit mündlich abgeschlossener Vertragsänderungen. Dies folgt aus dem Grundsatz des Vorrangs individueller Vertragsabreden nach § 305 lit. b BGB. Eine sog. doppelte Schriftformklausel ist i.d.R. irre...

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