Rz. 5

Die Prüfung eines Arbeits- und Arbeitswegeunfalls hat in einem bestimmten unbedingt einzuhaltenden Schema zu erfolgen:

In einem 1. Schritt ist zu prüfen, ob es sich für den Geschädigten um einen Arbeits- oder Arbeitswegeunfall handelt (siehe hierzu Rdn 9 ff.).

In einem 2. Schritt ist dann zu prüfen, ob im Falle eines Arbeits- oder Arbeitswegeunfalls des Geschädigten eine Haftungsprivilegierung des Schädigers gemäß §§ 104 ff. SGB VII eingreift.

 

Praxistipp

Diese Reihenfolge ist unbedingt einzuhalten. Gerichte und Sachbearbeiter neigen dazu, zunächst zu prüfen, ob für den Schädiger ein Betriebsunfall vorliegt. Dies ist völlig unerheblich, wenn es sich für den Geschädigten nicht um einen Arbeits- oder Arbeitswegeunfall handelt. Es ist zwingend zuerst für den Geschädigten festzustellen, ob hier ein Arbeits- oder Arbeitswegeunfall vorliegt.

 

Rz. 6

Für die Frage, ob für den Geschädigten ein Arbeits- oder Arbeitswegeunfall vorliegt, ist ausschließlich die Sozialgerichtsbarkeit zuständig (§ 108 Abs. 1 SGB VII).

Gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Zivilgericht sein Verfahren auszusetzen, sobald die Möglichkeit besteht, dass für den Geschädigten ein Arbeits- oder Arbeitswegeunfall vorliegt.

Der BGH sieht die Voraussetzungen hierfür streng. Er stellt immer wieder heraus, dass im Falle des Arbeits- oder Arbeitswegeunfalls, an dem ein Schädiger beteiligt ist, nicht nur der Sozialversicherungsträger, also die Unfallkasse, sowie der Geschädigte zu beteiligen sind, sondern immer auch der Schädiger.

 

Praxistipp

Sollte ein Schädiger vorhanden sein, ist die Unfallkasse bei der Prüfung des Arbeitsunfalls immer mit zu benennen. Es ist darauf hinzuwirken, dass der Schädiger in das Sozialverfahren einbezogen wird. Bei Unterlassen dieses Prozedere wird riskiert, dass das gesamte Verfahren wiederholt werden muss mit der Folge, dass der Mandant noch länger auf sein Geld warten muss.

Grundsätzlich ist es so, dass der Schädiger gemäß § 12 Abs. 2 SGB X zwingend an dem Verfahren zu beteiligen ist. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen (BGH, Urt. v. 20.11.2007 – VI ZR 244/06, zfs 2008, 196; NJW 2008, 1877 m.w.N.) festgehalten, dass grundsätzlich dann, wenn der Schädiger nicht am Verfahren beteiligt war, das gesamte sozialgerichtliche Verfahren und das gesamte Sozialverfahren noch einmal zu wiederholen sind.

 

Rz. 7

Eine Ausnahme hiervon hat der BGH für den Fall angenommen, wenn die Voraussetzungen des Schädigers als zwingend Beteiligter gemäß § 12 Abs. 2 SGB X nicht schlüssig dargelegt worden sind (BGH, Urt. v. 8.11.2011 – VI ZB 59/10, zfs 2012, 136; VersR 2012, 463). In seiner jüngsten Entscheidung hierzu sagt der BGH, dass das Verfahren dann ausnahmsweise nicht wiederholt werden muss, wenn die Wiederholung ausschließlich dazu diene, durch die Beteiligung des Schädigers einen Formfehler zu heilen (BGH, Urt. v. 30.4.2013 – VI ZR 155/12, NJW 2013, 2031; zfs 2013, 443).

Die Frage, ob im nächsten Schritt eine Haftungsprivilegierung auf Seiten des Schädigers vorliegt, haben ausschließlich die Zivilgerichte zu entscheiden. Etwas schwierig wird dies in bestimmten Fällen, die unter Rdn 11 erörtert werden, nämlich dann, wenn ein nicht versicherter Unternehmer von einer versicherten Person geschädigt wird (dazu Rdn 11).

 

Rz. 8

Eine wichtige Fallgruppe in der Systematik der Haftungsprivilegierung sind Fälle der gestörten Gesamtschuld. Diese Fälle sind in der Praxis besonders schwierig und werden häufig übersehen.

Bei der gestörten Gesamtschuld geht es darum, dass dann, wenn zwei Schädiger eine Person schädigen und eine der Personen haftungsprivilegiert ist, das Innenverhältnis zwischen den beiden Schädigern auf das Außenverhältnis durchschlägt. Es handelt sich um Fälle der Haftungsquote. Beispiel: Zwei Arbeitskollegen fahren auf einer betrieblich organisierten Fahrt. Es kommt zu einem Unfall. Zwischen den Schädigern gibt es eine Haftungsverteilung von 50:50. Wenn der Beifahrer Schadensersatzansprüche geltend macht, egal bei wem, gilt auch für den Beifahrer, dass er nur 50 % seiner Ansprüche erstattet bekommt. Dies deswegen, weil der Schädiger, der gegenüber dem Beifahrer eigentlich voll haftet, bei dem Arbeitskollegen nur 50 % seiner Ansprüche regressieren könnte. Aus diesen Gründen hat die Rechtsprechung in Fällen, in denen ein Schädiger haftungsprivilegiert ist, angenommen, dass der Geschädigte nur so viel erhält, wie er maximal von dem Schädiger, der nicht haftungsprivilegiert ist, erhalten kann.

 

Praxistipp

Immer dann, wenn eine Haftungsquote bzw. mehrere Schädiger im Raum stehen, ist genau zu prüfen, ob möglicherweise einer von ihnen haftungsprivilegiert ist. In diesen Fällen bemisst sich die Schadensersatzquote nach den Ansprüchen gegen denjenigen ohne Haftungsprivilegierung.

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