I. Bisherige Rechtsprechung: Zeugniserteilung durch den Arbeitgeber

 

Rz. 61

Der insolvente Arbeitgeber hatte nach der bisherigen Rechtsprechung für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Zeugnis auszustellen.[32] Eine Zeugniserteilung durch den Insolvenzverwalter scheide grundsätzlich aus. Das sei sachgerecht, weil der Insolvenzverwalter regelmäßig nur für eine kurze Zeit den Betrieb führe und daher die Leistungen der Arbeitnehmer nicht umfassend beurteilen könne.[33]

 

Rz. 62

Eine Ausnahme sei nur dann zu machen, wenn der Insolvenzverwalter für eine längere Zeit das Arbeitsverhältnis fortgesetzt habe und daher eine ausreichende Grundlage für die Beurteilung der Arbeitnehmer habe. Dann sei auch er verpflichtet, für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer ein Zeugnis zu erteilen.[34] In diesen Fällen könne der Arbeitnehmer zwei Zeugnisse verlangen, nämlich eines bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem Arbeitgeber und ein weiteres ab Eröffnung von dem Insolvenzverwalter.

[32] BAG v. 28.11.1966 – 5 AZR 190/66, BAGE 19, 146, 152; LAG Düsseldorf v. 7.11.2003 – 16 Ta 571/03, ZIP 2004, 631, dazu EWiR 2004, 863 (Johlke/Schröder); Pape/Uhlenbruck, S. 525 Rn 714.
[33] A.A. Berscheid, ZInsO 1999, 205, 207.
[34] Schaub/Linck, ArbR-HdB, § 146 I 3, S. 15035 m.w.N.

II. Neuere Rechtsprechung: Zeugniserteilung durch den Insolvenzverwalter

 

Rz. 63

Diese Rechtsprechung hat das BAG inzwischen geändert. Zum Zeugnisanspruch im vorläufigen und im eröffneten Insolvenzverfahren hat das BAG klarstellend und grundlegend neu entschieden:[35]

Wird ein Arbeitsverhältnis vor Insolvenzeröffnung beendet, bleibt der Arbeitgeber grundsätzlich Schuldner des Anspruchs auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses. Diese Verpflichtung trifft nicht einen vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weder gem. § 22 Abs. 1 InsO noch aufgrund einer Einzelermächtigung gem. § 22 Abs. 2 InsO in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse übergegangen ist. Es besteht also insbesondere kein Zeugnisanspruch gegen einen "schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter für vor Insolvenzeröffnung beendete Arbeitsverhältnisse."
Erlangt ein vorläufiger Insolvenzverwalter die volle Verfügungsbefugnis über die Arbeitsverhältnisse oder wird das Arbeitsverhältnis erst nach der Insolvenzeröffnung beendet, schuldet der Insolvenzverwalter das Arbeitszeugnis, unabhängig davon, ob und wie lange er den Arbeitnehmer beschäftigt hat oder eigene Kenntnisse über dessen Arbeitsleistung gewinnen konnte. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Insolvenzverwalter einen Auskunftsanspruch nach § 97 InsO gegenüber dem Schuldner.
 

Rz. 64

Unabhängig davon besteht aber – zumindest nach der Auffassung des LAG Düsseldorf[36] – eine Pflicht des Arbeitgebers (Insolvenzschuldner) zur Erfüllung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens titulierten Zeugnisanspruchs. Ein titulierter Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses aus einem beendeten Arbeitsverhältnis sei auch im Fall einer nachfolgenden Insolvenzeröffnung weiterhin gegen den bisherigen Arbeitgeber vollstreckbar.

[35] BAG v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, BB 2004, 2526 = ZIP 2004, 1974, dazu EWiR 2004, 1185 (Richter); unter Hinweis auf Frankfurter Komm/Eisenbeis, § 113 Rn 109; a.A. Kübler/Prütting/Moll, InsO, § 113 Rn 14.
[36] LAG Düsseldorf v. 7.11.2003 – 16 Ta 571/03, LAGE § 89 InsO Nr. 1 = NZA-RR 2004, 206 = ZIP 2004, 631.

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