Rz. 70

Ein "krankes Versicherungsverhältnis" liegt vor, wenn der Kfz-Haftpflichtversicherer im Innenverhältnis gegenüber seinem Versicherungsnehmer bzw. den mitversicherten Personen des Versicherungsvertrags leistungsfrei ist, im Außenverhältnis jedoch gegenüber dem geschädigten Dritten aufgrund des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG weiterhin zur Leistung verpflichtet bleibt. Die Einzelheiten hierzu regelt § 117 VVG. Grund für die Leistungsfreiheit des Versicherers gegenüber seinem Versicherungsnehmer bzw. den versicherten Personen kann sein, dass sich der Versicherungsnehmer mit dem Ausgleich der Versicherungsprämie im Verzug befindet, sein Verhalten eine Gefahrerhöhung gem. §§ 23 ff. VVG, eine Obliegenheitsverletzung vor oder nach dem Versicherungsfall begründet.

 

Rz. 71

Beruft sich ein Kfz-Haftpflichtversicherer berechtigterweise auf das Vorliegen eines "kranken Versicherungsverhältnisses", ist zunächst zu beachten, dass sich dessen Haftung i.d.R. nur auf die Mindestversicherungssummen beschränkt (§ 117 Abs. 3 S. 1 VVG) Im Fall des Prämienverzugs, der Nachhaftung und der Gefahrerhöhung liegt in jedem Fall eine solche Beschränkung vor. Im Fall einer Obliegenheitsverletzung kann in den Versicherungsbedingungen in zulässiger Weise der Direktanspruch des Geschädigten auf die Mindestversicherungssumme beschränkt werden.

Weitaus größere praktische Bedeutung hat die Tatsache, dass der Kfz-Haftpflichtversicherer in Fällen dieser Art nur noch subsidiär haftet. Gem. § 117 Abs. 3 VVG scheidet eine Inanspruchnahme des Kfz-Haftpflichtversicherers durch den Geschädigten aus, soweit dieser bei einem anderen Schadenversicherer (insbesondere: Vollkaskoversicherer) oder Sozialversicherungsträger anderweitigen Ersatz zu erlangen vermag. Dieses Verweisungsprivileg besteht jedoch nicht, wenn die Leistungsfreiheit des Kfz-Haftpflichtversicherers darauf beruht, dass ein unberechtigter Fahrer bzw. Fahrer ohne Fahrerlaubnis das Fahrzeug geführt hat bzw. das Fahrzeug nicht den Betriebsvorschriften der StVZO entsprach. Es scheidet ferner in bestimmten Fällen aus, in denen die Kfz-Haftpflichtversicherung den Fahrzeughalter in Regress nehmen kann. Treffen eine Obliegenheitsverletzung in Form eines Fahrens ohne Fahrerlaubnis bzw. einer unberechtigten Fahrt mit einer Obliegenheitsverletzung in Form einer Trunkenheitsfahrt zusammen, kann sich der Versicherer weiterhin auf eine subsidiäre Haftung nach § 117 Abs. 3 VVG berufen.[45]

 

Rz. 72

Mit anderen Worten: Beruft sich ein Kfz-Haftpflichtversicherer wirksam auf das Vorliegen eines kranken Versicherungsverhältnisses, muss der Geschädigte grundsätzlich seinen Fahrzeugschaden bei seinem Vollkaskoversicherer geltend machen, wenn er über entsprechenden Versicherungsschutz verfügt. Eine solche Inanspruchnahme führt jedoch nicht zwingend zur Rückstufung in der Vollkaskoversicherung. Sie bewirkt allein, dass der Vollkaskoversicherer in Höhe seiner Aufwendungen beim Versicherungsnehmer des Kfz-Haftpflichtversicherers Regress nehmen kann. Die Höhe dieses Regressanspruchs hängt wiederum von den Umständen der Schadensverursachung und den u.U. zwischen den Versicherern zur Regulierung derartiger Ansprüche getroffenen Vereinbarungen ab.

[45] OLG Hamm VersR 2000, 1139; OLG Stuttgart NJW-RR 2001, 965.

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