Rz. 22

Maßgeblich für das Erreichen der Schwellenwerte ist nicht eine zufällige Beschäftigtenzahl im Zeitpunkt der Entlassung, sondern die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, mithin diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist.[60] Zur Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebes und einer Einschätzung der künftigen Entwicklung. Im Falle einer Betriebsstillegung kommt dabei nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Frage. Entscheidend ist dann, wann der Arbeitgeber noch eine regelmäßige Betriebstätigkeit entwickelt und wie viele Arbeitnehmer er hierfür eingesetzt hat.[61] Auch bei einer Betriebsstilllegung in mehreren Entlassungswellen ist auf den Zeitpunkt der letzten normalen Betriebstätigkeit für die Betriebsgröße abzustellen.[62] Maßgeblich ist grundsätzlich die Betriebsgröße in dem Zeitpunkt, in dem die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretung entstehen, mithin bei der ersten Manifestation der unternehmerischen Entscheidung.[63]

 

Rz. 23

Werden Arbeitnehmer nicht ständig, sondern lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt es für die Frage der regelmäßigen Beschäftigung darauf an, ob sie normalerweise während des überwiegenden Teils eines Jahres beschäftigt werden.[64] Dies gilt auch bei Saisonbetrieben, die jeweils für einige Wochen oder Monate im Jahr einen erhöhten Arbeitskräftebedarf haben. Die für diese Zeit vorübergehend eingestellten Arbeitnehmer zählen nicht zu den in der Regel Beschäftigten. Anderes gilt für reine Kampagnebetriebe, die überhaupt nur während eines Teils des Jahres arbeiten; in diesen Fällen ist die Beschäftigtenzahl während der Kampagne maßgebend.[65]

 

Rz. 24

Bei der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer sind auch befristet beschäftigte Arbeitnehmer mitzuzählen.[66] Dies wird, auch wenn der EuGH diese Differenzierung bislang noch nicht in aller Schärfe vorgenommen hat, jedenfalls für diejenigen ­befristet beschäftigten Arbeitnehmer gelten, die nicht nur ausnahmsweise eingesetzt ­werden, um etwa Auftragsspitzen abzufangen, sondern einen gewöhnlich bestehenden Beschäftigungsbedarf abdecken.[67] Demgegenüber sind Arbeitnehmer, die Vertretungsfälle etwa bei Mutterschutz, Elternzeit oder Krankheit abdecken, nicht zusätzlich zu dem vertretenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen,[68] sofern dieser Vertretungsbedarf nicht regelmäßig besteht.[69]

 

Rz. 25

Dass diese Betrachtungsweise auch den Vorgaben der Richtlinie entspricht, liegt nach den Schlussanträgen von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Pujante Rivera[70] nahe; diese hatte ausgeführt, es könne weder auf eine Stichtags- noch auf eine Durchschnittsbetrachtung ankommen, sondern es sei die Anzahl der bei gewöhnlichem Geschäftsgang beschäftigten Arbeitnehmer maßgeblich. Das BAG hat die Frage zur Klarstellung vorsorglich dem EuGH vorgelegt.[71]

[60] EUArbR/Spelge, RL 98/59/EG, Art. 1 Rn 2; HWK/Molkenbur, § 17 KSchG Rn 10; KR/Weigand, § 17 Rn 28; Schaub/Linck, § 142 Rn 12.
[66] EuGH v. 11.11.2015 – C-422/14, Pujante Rivera.
[67] Franzen, NZA 2016, 26.
[68] APS/Moll, § 17 KSchG Rn 22.
[70] Schlussanträge GA Kokott vom 3.9.2015, C-422/14, Pujante Rivera.
[71] BAG, EuGH-Vorlage v. 16.11.2017 – 2 AZR 90/17 (A).

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