Rz. 127

Das BAG vermittelt die Gewährleistung der Richtlinienverpflichtung bislang auf individualrechtlicher Ebene. In Anerkennung auch der individualschützenden Zielsetzung der Richtlinie[249] fügt das BAG die Verletzung der Massenentlassungspflichten in das nationale System des Bestandsschutzes ein und lässt diese zur Unwirksamkeit der in Folge ausgesprochenen Kündigung führen. Zu diesem Zweck legt das BAG § 17 Abs. 2 KSchG mittlerweile[250] unionsrechtskonform als gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB aus, eine Kündigung ohne die erforderliche Konsultation oder Massenentlassungsanzeige zu erklären.[251] Verstöße gegen die Massenentlassungspflichten führen damit in der Regel, jedenfalls wenn der Fehler kausal war für die Entlassung, zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dies gilt auch bei einer Änderungskündigung, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen hat oder nicht.[252] An der Unwirksamkeit ändert es auch nichts, wenn durch eine nachträgliche Reduzierung der Anzahl der Entlassungen etwa durch Rücknahme von Kündigungen der ursprünglich erreichte Schwellenwert einer Massenentlassung nachträglich wieder unterschritten wird. Dabei stehen die beiden maßgeblichen Pflichten – Konsultationsverfahren und Massenentlassungsanzeige – selbstständig nebeneinander; jedes der beiden Verfahren stellt ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar.[253]

 

Rz. 128

 

Hinweis

Dementsprechend müssen von dem betroffenen Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren gemäß § 6 KSchG die Fehlerhaftigkeit des Konsultationsverfahrens und des Anzeigeverfahrens jeweils eigenständig gerügt werden. Werden erstinstanzlich nur Mängel des einen Verfahrens gerügt, ist der Arbeitnehmer mit der erst zweitinstanzlich erhobenen Rüge, auch das andere Verfahren sei fehlerhaft erfolgt, präkludiert.[254]

[249] EuGH v. 17.12.1998 – C-250/97 – Lauge u.a.
[250] In Abkehr von der früheren ständigen Rechtsprechung, vgl. dazu noch BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05.
[252] Schaub/Linck, § 142 Rn 8.
[253] BAG v. 9.6.2016 – 6 AZR 405/15; BAG v. 20.1.2016 – 6 AZR 601/14; Schaub/Linck, § 142 Rn 20; abl. APS/Moll, § 17 KSchG Rn 76b.

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