Rz. 1

Die Definition des Arbeitsvertrages in § 611a BGB ist nur ein Nebenprodukt des eigentlichen Reformanliegens des Gesetzgebers, nämlich der Bekämpfung angeblicher Missbräuche bei dem Einsatz von Fremdpersonal auf der Grundlage von Werkverträgen. Missverständlich wurde im Rahmen der Reform insoweit vom "Missbrauch von Werkverträgen" gesprochen. Tatsächlich konnte dieses Anliegen durch die Neuregelung des § 611a BGB schon vom Ansatz her nicht umgesetzt werden. Um die Gründe hierfür aufzuzeigen, seien im Folgenden zunächst die Fakten zu dem Phänomen des Fremdpersonaleinsatzes aufgezeigt, bevor sodann auf die bisherige Rechtsentwicklung und die seit 1.4.2017 geltende Rechtslage eingegangen wird.

I. Missbräuche im Recht des Fremdpersonaleinsatzes / Rechtstatsachen

 

Rz. 2

In der politischen Diskussion im Vorfeld der Reform von 2017 wurden immer wieder einzelne aufsehenerregende Missbrauchsfälle als Beleg für einen missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz herangezogen. So wurde 2011 der "Fall Schlecker" zum Inbegriff der Ersetzung der Stammbelegschaft durch kostengünstigere Leiharbeitnehmer. Parallel dazu verkörperten osteuropäische Werkarbeiter in Schlachthöfen, Regaleinräumer in Supermärkten sowie Paketzusteller der Logistikbranche die Ausbeutung durch den missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz. Sicherlich sind solche Fälle des Lohndumpings zu missbilligen und von der Rechtsordnung zu unterbinden. Gleichzeitig ist aber zu bemängeln, dass in der stark polarisierten Debatte die tatsächlichen Daten und Fakten weitgehend ausgeblendet wurden.

Die Bundesregierung führte in der Begründung des Gesetzesentwurfs zutreffend aus, dass sowohl die Arbeitnehmerüberlassung als auch der Einsatz von Werkverträgen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft unverzichtbar sind. Ein ähnliches Bekenntnis findet sich ebenfalls in dem Koalitionsvertrag der "Ampel"-Regierung. Beide Formen der Beschäftigung sind etablierte Formen des flexiblen Personaleinsatzes und haben einen wesentlichen positiven Einfluss auf die Beschäftigungsförderung. Unumstritten ist, dass Missbrauchsfälle aufgedeckt und für die Zukunft verhindert werden müssen. Hierfür ist eine präzise Abgrenzung der verschiedenen Vertragsformen von essentieller Bedeutung. Allerdings lässt sich bezweifeln, ob das Ergebnis des Reglementierungsdrangs der Bundesregierung wirklich zu besser handhabbaren und damit befriedigenderen Ergebnissen führt als sie bislang von der Rechtsprechung erzielt wurden (zur bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung von Leiharbeitnehmern und anderen Vertragsformen siehe unter Rdn 15 ff.). Ein "Mehr" an Rechtssicherheit ist allenfalls durch die Begründung des Regierungsentwurfs und der Beschlussempfehlung des Ausschusses Arbeit und Soziales, nicht dagegen durch den Gesetzestext gewonnen worden. Zu begrüßen ist immerhin, dass die Novelle von einer einseitigen Veränderung des Arbeitnehmerbegriffs durch unpassende Vermutungen und unvollständige Kriterienkataloge abgerückt ist. Insbesondere der durch die Digitalisierung fortschreitende Wandel der Arbeitswelt verbietet es, die Abgrenzung von abhängiger und selbstständiger Beschäftigung anhand einer starren Gewichtung einzelner ggfs. bereits veralteter Indizien vorzunehmen. Sie müsste zwangsläufig zu unsachgemäßen Ergebnissen führen.

 

Rz. 3

Einmal mehr hat sich im Jahr 2020 im Zuge der Coronavirus-Pandemie gezeigt, wie das Recht der Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand vorschneller Änderungen wird, sobald Fehlentwicklungen der Arbeitswirklichkeit in den Fokus der Öffentlichkeit treten: Nach einem Covid-19-Ausbruch in einem großen Schlachtbetrieb des Branchenführers Tönnies Holding ApS & Co. KG wurden unter dem Druck des medialen Interesses verschiedene Missstände in der Fleischindustrie offenbar, welche das von Hubertus Heil geführte BMAS wie folgt zusammenfasste:

Zitat

"Überbelegungen und Wuchermieten, Verstöße gegen Hygiene-, Abstands- und Arbeitsschutzbestimmungen (insbesondere fehlende Schutzausrüstung, zu geringer Sicherheitsabstand, keine arbeitsmedizinische Versorgung) sowie Verstöße gegen das Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz."[1]

Als Antwort auf diese Probleme hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.4.2021 neben anderen Maßnahmen in § 6a Abs. 2 GSE-Fleisch ein branchenweites Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft eingeführt. Diese Regelung ist indes weder dazu geeignet noch erforderlich, die zurecht festgestellten Probleme zu beheben. Der erkennbare Wunsch, in der Frühphase der Pandemie Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, dürfte dem Gesetzgeber in den anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht helfen.[2] Bereits zu dem ähnlichen, auf die Baubranche bezogenen Verbot des § 1b AÜG hat das BVerfG[3] im Jahr 1987 (betreffend die Vorgängerregelung) verfassungsrechtliche Leitlinien formuliert, die durch die Neuregelung wohl durchbrochen wurden. Zwar mag das sektorale Verbot für die Bauwirtschaft im damaligen, kaum regulierten Markt hinsichtlich der ehemals im Fokus stehenden Grundrechte der Verleiherunternehmen verfassungsgemäß gewesen sein. In der ...

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