1. Allgemeines

 

Rz. 162

§ 103 BetrVG dient dem Zweck, den Schutz der Betriebsverfassungsorgane auch ggü. außerordentlichen Kündigungen sicherzustellen. Er ergänzt und erweitert im Zusammenhang mit den §§ 15 ff. KSchG den Kündigungsschutz über den bei der ordentlichen Kündigung bestehenden Schutz hinaus. Damit sollen die Träger der Betriebsverfassungsorgane, Wahlbewerber und Mitglieder des Wahlvorstandes auch vor willkürlichen außerordentlichen Kündigungen geschützt werden.

2. Personeller Anwendungsbereich

 

Rz. 163

§ 103 Abs. 1 BetrVG bestimmt, dass die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrates, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrates, des Wahlvorstandes sowie von Wahlbewerbern der Zustimmung des Betriebsrates bedarf. Dies gilt jedoch nur während der Amtszeit dieser Personen. Im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 und Abs. 3a S. 2 KSchG, die den nachwirkenden Kündigungsschutz für ordentliche Kündigungen regeln, entfaltet § 103 BetrVG nach Beendigung des Amtes keinen Schutz (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11, Rn 17).

 

Rz. 164

Scheidet ein Betriebsratsmitglied während des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 BetrVG aufgrund einer Neuwahl aus, ist für die außerordentliche Kündigung keine erneute Zustimmung des (neuen) Betriebsrates erforderlich (BAG v. 8.6.2000 – 2 AZN 276/00, NZA 2000, 899). Es besteht nur noch nachwirkender Kündigungsschutz. Für die außerordentliche Kündigung nach Ablauf der Amtszeit ist daher nicht mehr die Zustimmung des Betriebsrates erforderlich. Der Arbeitgeber kann und muss dann wegen § 626 Abs. 2 BGB unverzüglich kündigen. Eine erneute Anhörung des (neuen) Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 BetrVG ist nicht erforderlich und möglicherweise sogar verfehlt, wenn es dadurch zu einer Verzögerung der unverzüglich auszusprechenden Kündigung kommt (BAG v. 8.6.2000 – 2 AZN 276/00, NZA 2000, 899).

 

Rz. 165

Auch auf die Mitglieder der Schwerbehinderten- und Gesamtschwerbehindertenvertretung (vgl. § 179 Abs. 3 SGB IX vor dem 1.1.2018: § 96 Abs. 3 SGB IX) und die Wahlbewerber für diese Ämter (vgl. § 177 Abs. 6 SGB IX vor dem 1.1.2018: § 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX) findet § 103 BetrVG (ebenso wie §§ 15, 16 KSchG) Anwendung (Fitting, BetrVG, § 103 Rn 6; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 103 Rn 11, 12). § 29a HAG erstreckt den Kündigungsschutz des § 103 BetrVG auch auf die in Heimarbeit Beschäftigten.

 

Rz. 166

Die darüber hinaus in § 78 BetrVG genannten Personen genießen lediglich einen relativen Kündigungsschutz, wenn die Kündigung wegen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit erfolgt. Ist dies der Fall, ist die Kündigung nicht nur sozial ungerechtfertigt nach § 1 KSchG, sondern verstößt auch gegen das gesetzliche Verbot des § 78 BetrVG und ist daher nach § 134 BGB nichtig (BAG v. 22.2.1979, DB 1979, 1659; DKKW/Kittner, BetrVG, § 103 Rn 12).

3. Verfahren der Zustimmung

 

Rz. 167

Das Vorliegen der Zustimmung des Betriebsrates in den Fällen des § 103 BetrVG ist neben den Voraussetzungen des § 626 BGB Wirksamkeitsvoraussetzung für eine außerordentliche Kündigung. Auch eine nachträglich erteilte Zustimmung seitens des Betriebsrates heilt die Unwirksamkeit einer schon ausgesprochenen Kündigung nicht (BAG v. 22.2.1972, AP Nr. 1 zu § 15 BBiG; GK-BetrVG/Kraft, § 103 Rn 33; DKKW/Kittner, BetrVG, § 103 Rn 28; a.A. Richardi/Thüsing, BetrVG, § 103 Rn 56).

 

Rz. 168

Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat rechtzeitig unter genauer Angabe der Kündigungsgründe wie nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu unterrichten und dessen Zustimmung zu beantragen. Ist die Unterrichtung unzureichend, kann die Kündigung keine Wirksamkeit entfalten (BAG v. 5.2.1981, AP Nr. 1 zu § 72 LPVG/NW). Die Unterrichtung hat im eigenen Interesse des Arbeitgebers so rechtzeitig stattzufinden, dass der Arbeitgeber bei Verweigerung der Zustimmung noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB deren Ersetzung durch das ArbG beantragen kann (BAG v. 22.8.1974, AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG; Fitting, BetrVG, § 103 Rn 33).

 

Rz. 169

§ 103 BetrVG sieht keine besondere Frist für die Äußerung des Betriebsrates vor. Jedoch ist die Drei-Tages-Frist des § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG analog anwendbar. Bei dieser Frist handelt es sich um eine Frist von drei Kalendertagen, nicht von Werk- oder Arbeitstagen.

 

Rz. 170

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch Folgendes: § 102 Abs. 2 S. 1 und 2 BetrVG fingieren die Zustimmung des Betriebsrates zu einer ordentlichen Kündigung, wenn dieser seine Bedenken dem Arbeitgeber ggü. nicht innerhalb einer Woche schriftlich mitteilt. Im Gegensatz dazu enthält jedoch § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG nicht die Fiktion der Zustimmung zur Kündigung, wenn sich der Betriebsrat innerhalb der Drei-Tages-Frist für eine außerordentliche Kündigung nicht äußert. Das Schweigen des Betriebsrates im Zustimmungsverfahren nach § 103 BetrVG führt infolgedessen ebenfalls nicht zur Zustimmung (BAG v. 18.8.1977, AP BetrVG 1972 § 103, Nr. 10; KR/Etzel, § 103 BetrVG Rn 94; Fitting, § 103 Rn 33; DKKW/Kittner/Bachner, § 103 Rn 31).

 

Rz. 171

 

Hinweis

Der Arbeitgeber sollte dem Betriebsrat infolg...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge