Rz. 74

Unterschiedliche Auffassungen herrschen darüber, ob bei der Wertermittlung das Ertragswertverfahren oder aber das Sachwertverfahren angewendet werden soll. Der wirtschaftliche Erfolg eines Freiberuflers geht in der Regel einher mit seiner engagierten und persönlichen Bindung zu seinen Patienten bzw. Mandanten.[215] Die Anwendung der Ertragswertmethode wird daher im Rahmen des Pflichtteilsrechts von der Rechtsprechung überwiegend abgelehnt.[216]

 

Rz. 75

Vielmehr wird das Sachwertverfahren unter Implementierung eines sogenannten Good Will (zur Begrifflichkeit des Good Will siehe Rdn 26 ff.) angewandt. Verneint wurde die Anwendung des Sachwertverfahrens durch das OLG München jedoch bei einem Architekturbüro. Hier erkannte das Gericht, dass die persönliche und schöpferische Leistung des Inhabers für die Beauftragung durch seine Kunden im Vordergrund stand.[217]

 

Rz. 76

 

Praxistipp

Wenn das Vermögen des Erblassers (Praxisinhabers) groß genug ist, sodass neben dem eigentlichen Praxisanteil genug weiteres Vermögen verbleibt, lassen sich Pflichtteilsansprüche zunächst durch geschickt angeordnete Vorausvermächtnisse reduzieren. Durch diese gezielte Anordnung von Einzelvermächtnissen an die Erben, welche nicht den freiberuflichen Praxisanteil enthalten, lässt sich der Pflichtteil aufgrund der Anrechnungsvorschrift des § 2307 BGB entsprechend reduzieren. Kombiniert man dies mit einer Pflichtteilsstrafklausel, kann der Berater erreichen, dass die Geltendmachung des Pflichtteils für die übrigen Erben uninteressant wird.

 

Rz. 77

Dennoch ist die Pflichtteilsproblematik nicht zu unterschätzen. Machen alle Angehörigen ihren Pflichtteil geltend, so kann dies beim Praxis- oder Kanzleierben schnell zu Liquiditätsengpässen führen. Muss der Kanzlei- bzw. Praxiserbe aufgrund dessen seinen Anteil verkaufen (abtreten), so wird er regelmäßig mit einer Klausel im Gesellschaftsvertrag konfrontiert werden, wonach er nur einen bestimmten prozentualen (Klausel-)Wert, anstelle des tatsächlichen reellen Wertes erhält. Diesen Wert kann er jedoch den Pflichtteilsberechtigten nicht entgegenhalten. Diese haben einen Anspruch darauf, dass der tatsächliche vom Sachverständigen ermittelte Praxis- bzw. Kanzleiwert im Rahmen der Bezifferung des Pflichtteils Beachtung findet.[218]

 

Rz. 78

 

Praxistipp

Eine weitere Möglichkeit die Geltendmachung eines Pflichtteils zu vermeiden ist es, mit den Pflichtteilsberechtigten einen Pflichtteilsverzichtsvertrag zu schließen. Dieser kann gegenständlich beschränkt werden, was bedeutet, dass bei einer etwaigen Geltendmachung des Pflichtteils der Wert der Praxis bei der Berechnung des Pflichtteils nicht herangezogen wird.[219] Ein solcher gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht kann entgeltlich, aber auch unentgeltlich erfolgen.[220]

[215] Vgl. hierzu auch Damrau/Tanck/Riedel, Praxiskommentar Erbrecht, § 2311 BGB Rn 232.
[216] BGH NJW 1991, 1547; Staudinger/Herzog (2015), § 2311 BGB Rn 120.
[217] OLG München FamRZ 1984, 1096.
[218] Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, S. 1643 Rn 218.
[219] Fette, NJW 1970, 743 ff. sowie Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, S. 1584 Rn 63.
[220] Gockel, Verzichtserklärungen im Erbrecht, S. 4 Rn 16.

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