Rz. 208

Besondere Anrechnungsprobleme ergaben sich, wenn mehrere außergerichtliche Geschäftsgebühren aus verschiedenen einzelnen außergerichtlichen Angelegenheiten auf eine einheitliche Verfahrensgebühr des Verbundverfahrens anzurechnen waren, da an sich jede dieser Geschäftsgebühren hälftig, höchstens zu 0,75 anzurechnen ist (Vorbem. 3 Abs. 4 VV). Der BGH[113] war der Auffassung, dass das Anrechnungsaufkommen nicht zu begrenzen sei, also dass jede Gebühr ungekürzt anzurechnen sei, selbst wenn danach die nachfolgende Verfahrensgebühr untergehe. Die Anrechnung dürfe allerdings nicht weiter gehen als die Verfahrensgebühr, sodass sich also im nachfolgenden Verfahren durch die Anrechnung kein negativer Betrag bei der Verfahrensgebühr ergeben kann. Nach a.A.[114] durfte (in analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG) nicht mehr angerechnet werden als ein Betrag nach dem höchsten hälftigen Satz aus dem Gesamtwert der einzelnen Angelegenheiten. Der Gesetzgeber hat diese Streitfrage mit dem KostRÄG 2021 durch Einfügung des § 15a Abs. 2 RVG jetzt geregelt. Danach darf der Gesamtbetrag der Anrechnung denjenigen Anrechnungsbetrag nicht übersteigen, der sich ergeben würde, wenn eine Gebühr anzurechnen wäre, die sich aus dem Gesamtbetrag der betroffenen Wertteile nach dem höchsten für die Anrechnungen einschlägigen Gebührensatz berechnet.

 

Beispiel 60: Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren im Verbund

Der Anwalt war außergerichtlich jeweils gesondert tätig hinsichtlich des Zugewinns (Wert: 20.000,00 EUR), der Auseinandersetzung des Haushalts (Wert: 4.000,00 EUR) sowie Kindesunterhalt (Wert: 3.600,00 EUR). Abgerechnet hatte der Anwalt insoweit wie folgt:

 
I. Zugewinn    
1. 1,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   822,00 EUR
  (Wert: 20.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 842,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   159,98 EUR
Gesamt   1.001,98 EUR
II. Haushalt    
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   417,00 EUR
  (Wert: 4.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 437,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   83,03 EUR
Gesamt   520,03 EUR
III. Unterhalt    
1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   361,40 EUR
  (Wert: 3.600,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 381,40 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   72,47 EUR
Gesamt   435,87 EUR

Es kommt hiernach zum Scheidungsverfahren (Werte: Ehesache 6.000,00 EUR; Versorgungsausgleich 1.200,00 EUR). Zugewinn, Kindesunterhalt und Haushalt werden als Folgesache anhängig gemacht.

Nach § 15a Abs. 2 RVG wird jeweils die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr hälftig, höchstens zu 0,75 angerechnet, jedoch nicht mehr als ein Betrag nach dem höchsten hälftigen Gebührensatz (also 0,75) aus dem Gesamtwert von 27.600,00 EUR:

 
IV. Verbundverfahren
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   1.346,80 EUR
  (Wert: 34.800,00 EUR)    
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen    
  – 0,5 aus 20.000,00 EUR – 411,00 EUR  
  – 0,75 aus 4.000,00 EUR – 208,50 EUR  
  – 0,65 aus 3.600,00 EUR – 180,70 EUR  
  gem. § 15a Abs. 2 RVG nicht mehr als   – 716,25 EUR
  0,75 aus 27.600,00 EUR    
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   1.243,20 EUR
  (Wert: 34.800,00 EUR)    
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.893,75 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   359,81 EUR
Gesamt   2.253,56 EUR
 

Rz. 209

Anzurechnen ist auch dann, wenn im Verbundverfahren die Verfahrensgebühr nur mit dem ermäßigten Satz von 0,8 angefallen ist.

 

Beispiel 61: Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren im Verbund

Wie vorangegangenes Beispiel 60; im Scheidungsverfahren wird die Folgesache Zugewinn anhängig gemacht. Über Haushalt und Umgangsrecht werden im Termin Vergleichsverhandlungen geführt. Eine Einigung kommt allerdings nicht zustande.

Abzurechnen ist wie folgt:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   1.241,50 EUR
  (Wert: 27.200,00 EUR)    
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen,   – 411,00 EUR
  0,5 aus 20.000,00 EUR    
3. 0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV   401,60 EUR
  (Wert: 7.600,00 EUR)    
4. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen    
  – 0,75 aus 4.000,00 EUR – 208,50 EUR  
  – 0,65 aus 3.600,00 EUR – 180,70 EUR  
  gem. § 15a Abs. 2 RVG nicht mehr als   – 376,50 EUR
  0,75 aus 7.600,00 EUR    
5. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   1.243,20 EUR
  (Wert: 34.800,00 EUR)    
6. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 2.118,80 EUR  
7. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   402,57 EUR
Gesamt   2.521,37 EUR
 

Rz. 210

Ein weiteres Anrechnungsproblem kann sich wegen der unterschiedlichen Gegenstandswerte ergeben, wenn der Anwalt in einer Kindschaftssache außergerichtlich tätig war und diese dann als Folgesache im Verbund anhängig gemacht wird. Insoweit gilt Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV entsprechend. Angerechnet wird nur nach dem Wert der Folgesache, es sei denn, der Wert der vorgerichtlichen Tätigkeit ist ausnahmsweise geringer. Dann gilt nur der geringere Wert.

 

Beispiel 62: A...

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