Rz. 30

Zwar ist der Richter an die Indizwirkung der Regelanordnung nicht gebunden, ohne besonderen Grund darf er allerdings von der vom VO-Geber vorgenommenen Vorbewertung nicht abweichen. Insoweit hat er nämlich kein rechtlich ungebundenes Ermessen (OLG Hamm NZV 2004, 99). Deshalb braucht er sich, solange ihm sich nicht bereits aufgrund der Aktenlage (z.B. aufgrund des Radarfotos) atypische Umstände aufdrängen (OLG Karlsruhe zfs 2006, 229) und solche auch nicht von der Verteidigung geltend gemacht werden, noch nicht einmal im Urteil mit der Frage zu beschäftigen, ob nicht etwa nur einfache Fahrlässigkeit vorgelegen hat (BayObLG NZV 2001, 46).

 

Rz. 31

 

Achtung: Prüfungs- und Begründungspflicht bei atypischen Umständen

Die Einschränkung der Begründungspflicht enthebt das Gericht jedoch nicht zugleich auch der Pflicht zu prüfen, ob nicht Umstände vorliegen, die ausnahmsweise die Verhängung eines Fahrverbotes verbieten. Anlass hierzu besteht nicht nur bei entsprechendem Verteidigungsvorbringen, sondern immer bereits dann, wenn dem Gericht auf anderem Wege (Akteninhalt, persönliche Verhältnisse des Betroffenen etc.) außergewöhnliche Umstände bekannt werden, wie z.B. im Fall eines Schwerbehinderten, der seit mehr als 40 Jahren unbeanstandet am Straßenverkehr teilgenommen hat (OLG Hamm NZV 1999, 215) oder bei einem Berufskraftfahrer (OLG Düsseldorf NZV 2008, 104).

Dann ist mit dem bloßen Hinweis auf den Regelfall und darauf, dass sich der Richter der Ausnahmemöglichkeit bewusst gewesen war, die Verhängung des Fahrverbotes nicht ausreichend begründet (OLG Düsseldorf NZV 2000, 52; OLG Hamm DAR 2005, 463).

Der Richter muss sich in diesen Fällen vielmehr mit den vorgetragenen oder sonst ersichtlichen Argumenten in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise auseinandersetzen.

Ein Teil der Rechtsprechung geht sogar noch weiter und verlangt von Amts wegen zu ermitteln, wie sich ein Fahrverbot konkret auf den Betroffenen auswirken würde, da der Richter andernfalls den ihm durch die BKatVO eingeräumten Ermessensspielraum nicht pflichtgemäß nutze (OLG Stuttgart DAR 1998, 205; OLG Hamm DAR 2003, 42; OLG Karlsruhe zfs 2006, 230).

 

Rz. 32

 

Achtung: Diese Grundsätze gelten auch bei hohen Geschwindigkeitsüberschreitungen

Liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines Augenblicksversagens vor, kann ein Fahrverbot auch nicht allein mit der Höhe der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung begründet werden, denn dies verstieße gegen das Verbot der Doppelverwertung (KG DAR 2004, 164).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge