Rz. 41

 

Beispiel

In Italien lebende deutsche Eheleute möchten sich gegenseitig vertraglich bindend zu Vorerben und die auf beiden Seiten vorhandenen Kinder aus jeweils erster Ehe zu Nacherben einsetzen. Der Ehemann ist italienischer Staatsangehöriger. Da das italienische Recht weder bindende Erbeinsetzungen noch die Vor- und Nacherbfolge kennt, beabsichtigen sie, das deutsche Recht zu wählen.

Regelmäßig stellen sich bei dieser Konstellation die folgenden Fragen:

1. Ist die im Erbvertrag getroffene Rechtswahl bindend oder widerruflich?
2. Kann ein Ehegatte sich durch den Widerruf der Rechtswahl aus der Bindungswirkung befreien?
3. Würde durch den Widerruf der Rechtswahl die Nacherbfolge nach dem Ehemann hinfällig werden?
 

Rz. 42

Das gewählte Recht gilt grundsätzlich nicht nur für die Wirksamkeit der Verfügung und die Wirkungen der Verfügung. Es gilt gem. Art. 22 Abs. 3 EuErbVO auch für die materiellen Erfordernisse für die Wirksamkeit der Rechtswahlerklärung (ausgenommen ist insoweit selbstverständlich die Frage, ob eine Rechtswahl überhaupt zulässig ist und welches Recht gewählt werden kann). Daher muss auch für die Bindungswirkung einer Rechtswahl das gewählte Recht gelten.[24] Für eine zugunsten des deutschen Heimatrechts getroffene Rechtswahl gilt dann also stets das deutsche Recht. § 2278 Abs. 2 BGB bestimmt nun, dass eine Rechtswahlvertragsmäßig bindend getroffen werden kann. In vergleichbarer Weise bestimmt § 2270 Abs. 3 BGB für eine in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Rechtswahl, dass diese als wechselbezügliche Verfügung i.S.v. § 2271 BGB behandelt werden kann. Es ist hier abzuwarten, wie die Vertragspraxis die Möglichkeit der Wechselbezüglichkeit zu einer sinnvollen Testamentsgestaltung ausnutzen wird.

 

Rz. 43

Gem. Art. 25 Abs. 1 EuErbVO entscheidet über die Wirksamkeit und Bindungswirkung eines Erbvertrags das zum Zeitpunkt seines Abschlusses geltende Erbstatut (Errichtungsstatut, siehe unten zum Errichtungsstatut beim Erbvertrag Rdn 79). Ein der Errichtung nachfolgender Widerruf der Rechtswahl lässt daher die Geltung des im Erbvertrag gewählten Rechts für die Wirksamkeit und Bindungswirkungen der vertragsmäßig getroffenen Verfügungen des Erbvertrags unberührt. Gleiches gilt für ein gemeinschaftliches Testament gem. Art. 24 Abs. 1 und 3 EuErbVO (siehe unten Rdn 87 ff.). Der Widerruf einer Rechtswahl kann daher die durch das gewählte Recht geschaffene Bindungswirkung nicht beseitigen.

 

Rz. 44

Dennoch könnte der Widerruf die Wirkungen der getroffenen Verfügungen erheblich beeinträchtigen. Denkbar wäre z.B., dass das abgewählte Recht höhere Pflichtteilsquoten vorsieht oder bestimmte Arten von Verfügungen nicht anerkennt. So kennt das italienische Recht z.B. die Anordnung der Nacherbfolge nur für Sonderfälle an. Das belgische Recht sieht bei Anordnung der Nacherbfolge vor, dass schon die Vorerbeinsetzung nichtig ist (so dass nicht einmal die vertragsmäßig zum Vorerben eingesetzte Person erbt, sondern allenfalls gesetzlicher Erbe wird).[25] Dementsprechend kann die Fortgeltung des gewählten Rechts für die Wirksamkeit und die Bindungswirkungen des Erbvertrags nicht verhindern, dass dieser dennoch aufgrund des Widerrufs der Rechtswahl völlig andere Wirkungen zeitigt als nach dem gewählten Recht.

 

Praxistipp

Es sollte daher im Einzelfall geprüft werden, ob sich neben der auf die Wirksamkeit und Bindungswirkung des Erbvertrags bzw. des Testaments bezogenen Rechtswahl i.S.v. Art. 25 Abs. 3 bzw. Art. 24 Abs. 2 EuErbVO ("kleine Rechtswahl") auch eine auf das gesamte Erbrecht bezogene Rechtswahl ("große Rechtswahl" i.S.v. Art. 22 Abs. 1 EuErbVO) mit bindender Wirkung nach § 2278 Abs. 3 bzw. §§ 2270 f. BGB empfiehlt.

 

Rz. 45

Muster 26.10: Bindende Rechtswahl

 

Muster 26.10: Bindende Rechtswahl

Die Vertragsparteien sind beide deutsche Staatsangehörige. Die Eheleute unterstellen nun beiderseits die Erbfolge in ihren gesamten Nachlass sowie die Wirksamkeit und die Wirkungen der hier getroffenen Verfügungen dem deutschen Recht.

Die vorstehende Rechtswahl wird – soweit gesetzlich zulässig – mit vertraglicher Bindungswirkung getroffen.

...

Sollte die Anordnung der Vor- und/oder Nacherbfolge auf Seiten eines von ihnen wegen einer Geltung einer anderen Rechtsordnung unzulässig sein, so wird ersatzweise angeordnet, dass die zu Nacherben benannten Personen Erben sein sollen und der überlebende Ehegatte den Nießbrauch am Nachlass erhält [alternativ: dass die überlebende Ehefrau Vollerbe wird].

[24] So auch Bonomi, Commentaire Art. 22 Rn 72.
[25] Dazu Süß/Schür/Weling, Erbrecht in Europa, Länderbericht Belgien Rn 63.

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