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Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von GWB und EU-Kartellrecht ist die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, also des Handels zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Ist eine solche Beeinträchtigung zu bejahen, ist die sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt und der Anwendungsbereich von Art. 101 und 102 AEUV eröffnet. Dazu ist zu prüfen, ob sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die betreffende Absprache oder Verhaltensweise unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Waren- oder Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten beeinflussen kann.[18]

Die Kommission hat zur Konkretisierung dieser Prüfung umfängliche Leitlinien erlassen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erläutern.[19] Diese sind für die Kommission als Verwaltungsvorschriften, nicht aber für die Europäischen Gerichte bindend; bei der Anwendung des GWB werden sie zur Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale herangezogen.[20] Nach den Leitlinien ist das Gemeinschaftsrecht anwendbar, wenn sich der Handel zwischen den Mitgliedstaaten aufgrund der Vereinbarung oder Verhaltensweise anders entwickelt als dies ohne diese Vereinbarung anzunehmen wäre. Der Begriff des Handels zwischen den Mitgliedstaaten ist dabei nicht auf den grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Dienstleistungen beschränkt, sondern erfasst alle grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten der Unternehmen einschließlich der Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten. Ausreichend ist schon die Eignung zur Beeinträchtigung durch die Tätigkeit; eine tatsächliche Behinderung muss nicht vorliegen bzw. nachgewiesen werden, wenn nur eine hinreichende Wahrscheinlichkeit aufgrund objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände besteht. Die Kartellbehörden haben neben der unmittelbaren Auswirkung auf den Handel durch die direkt von dem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten erfassten Waren auch mittelbare Auswirkungen zu berücksichtigen, wenn es sich bei den Waren z.B. um Zwischen- oder Vorprodukte handelt und die Beschränkung Einfluss auf den Handel mit den Endprodukten hat.

Im Allgemeinen gilt, dass Vereinbarungen und Verhaltensweisen, die mehrere Mitgliedstaaten betreffen oder in mehreren Mitgliedstaaten durchgeführt werden, ihrem Wesen nach geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Es kann auch bei Vereinbarungen, die sich nur auf einen einzigen Mitgliedstaat oder einen Teil davon beziehen, die Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt sein, wenn die Vereinbarung zu einer Abschottung des nationalen Marktes vor potentiellen ausländischen Mitbewerbern führt. Hierbei ist nicht nur die konkrete Vereinbarung, sondern sind auch parallele Netze von Vereinbarungen mit ähnlicher Wirkung zu berücksichtigen.

In der Praxis ist im Hinblick auf die starke tatsächliche oder potentielle grenzüberschreitende Tätigkeit der Unternehmen in der überwiegenden Zahl der Fälle von der Anwendbarkeit des EU-Kartellrechts auszugehen.[21] Der Unterschied zwischen nationalen und EU-Kartellfällen macht sich aber ohnehin nur dann bemerkbar, wenn das deutsche Recht spezifische Regelungen trifft (z.B. §§ 3, 18 ff. GWB).

[18] EuGH Rs. 56/65 (Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 281, 303; EuGH Rs. 31/80 (L’Oréal), Slg. 1980, 3775, 3791; EuGH Rs. T-70/89 (BBC), Slg. 1991 II, 535 Rn 65.
[19] Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 des Vertrages, ABl EG 2004 C 101, 81 ff.
[20] Langen/Bunte, § 2 GWB Rn 14 ff.
[21] Geschätzt wird, dass bis zu 95 % aller wettbewerbsrechtlichen Fälle den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen; vgl. Weitbrecht, NJW, Beil. zu 8/2003, 1.

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