Rz. 1

Prägend für dieses Delikt (in sämtlichen Varianten des Abs. 1 Nr. 1–3) ist, dass ein verkehrsfremder Eingriff von außen in den Straßenverkehr vorliegen muss. Liegen demgegenüber vorschriftswidrige Verkehrsverhalten vor, ist § 315b unabwendbar. Denn solche Verstöße im ruhenden und fließenden Verkehr sind abschließend durch § 315c geregelt. Dennoch ergeben sich gelegentlich Abgrenzungsprobleme, da nach ganz herrschender Meinung § 315b auch bei sogenannten verkehrsfremden Inneneingriffen, also Handlungen im Verkehr, vorliegen kann. Hiervon spricht man, wenn der Täter als Verkehrsteilnehmer einen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr pervertiert.[1] Das ist etwa dann der Fall, wenn der Täter sein Kraftfahrzeug nicht als Fortbewegungsmittel benutzt, sondern es als Schadenswerkzeug missbraucht,[2] z.B. auf Polizeibeamten zufährt, auch wenn er im letzten Moment ausweichen möchte.[3] Hierbei geht es um den Einsatz des Fahrzeugs als Werkzeug zur Nötigung, um sich den Fluchtweg zu eröffnen.[4]

In der Praxis spielt in der Regel § 315b Abs. 1 Nr. 3 eine wichtige Rolle.

 

Rz. 2

Muster 26.1: Keine Pervertierung des Verkehrsvorgangs

 

Muster 26.1: Keine Pervertierung des Verkehrsvorgangs

Meinem Mandanten wird folgende Tathandlung vorgeworfen:

Mein Mandant fuhr mit seinem Pkw. Mit in dem Fahrzeug befand sich die junge Bekannte meines Mandanten, Frau _________________________, die sich zuvor mit ihrem Freund zerstritten hatte. Sie machte den Vorschlag, den Pkw ihres Freundes zu beschädigen. Mein Mandant erklärte sich hierzu bereit und fuhr zum Wohnanwesen des Freundes, vor dem dessen Pkw abgestellt war. Dort fuhr mein Mandant langsam gegen die Fahrertür des Hondas, die hierdurch großflächig eingedrückt wurde.

Die Staatsanwaltschaft sieht den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB als erfüllt an, weil mein Mandant sein Fahrzeug zweckentfremdet “als Werkzeug‘ dazu benutzt habe, den parkenden Pkw zu beschädigen, wodurch sich gleichzeitig die konkrete Gefahr für das fremde Fahrzeug verwirklicht habe.

Diese Auffassung ist rechtlich unzutreffend.

Ein gefährlicher Eingriff im Sinne dieser Vorschrift setzt nach ständiger Rechtsprechung eine grobe Einwirkung von einigem Gewicht voraus (BGHSt 26, 176). Es genügt nicht jeder Eingriff im Straßenverkehr. § 315b StGB ist vielmehr nur dann erfüllt, wenn die darin vorausgesetzte konkrete Gefahr die Folge des tatbestandsmäßigen Eingriffs ist, durch den die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt wird. Erschöpft sich dagegen der Eingriff in der konkreten Gefährdung bzw. Schädigung, scheidet der Tatbestand des § 315b StGB aus (BGH zfs 2002, 198).

So lag der Fall aber hier. Dementsprechend hat sich mein Mandant allenfalls einer Sachbeschädigung strafbar gemacht.

Der Tatbestand ist zudem nur erfüllt, wenn der Eingriff eine konkrete Gefahr nach sich zieht. Die Gefahr muss konkret festgestellt werden.[5] Dies ist der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing (sog. Beinahe-Unfall), ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht.[6]

 

Rz. 3

Nach der Rechtsprechung des BGH ist erforderlich, dass eine konkrete Gefahr für den Geschädigten bestand. Es muss ein "Beinahe-Unfall" angenommen werden können, die Sicherheit einer Person also so stark gefährdet sein, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob sich die Rechtsgutverletzung realisiert oder eben nicht.[7] Bei Schüssen auf Fahrzeuge im Straßenverkehr setzt § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB voraus, dass der Schutzzweck jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Schaden ausschließlich auf der durch die Pistolenschüsse freigesetzten Dynamik der auftreffenden Projektile beruht.[8]

 

Rz. 4

Muster 26.2: Konkrete Gefahr

 

Muster 26.2: Konkrete Gefahr

Nach der Rechtsprechung des BGH ist erforderlich, dass eine konkrete Gefahr für den Geschädigten bestand. Es muss ein "Beinahe-Unfall" angenommen werden können, die Sicherheit einer Person also so stark gefährdet sein, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob sich die Rechtsgutverletzung realisiert oder eben nicht (BGH NZV 2016, 345; BGH DAR 2013, 709).

Es trifft zwar zu, dass mein Mandant auf den Geschädigten mit seinem Fahrzeug zufuhr. Dieser hat jedoch in seiner Vernehmung angegeben, auf das Fahrmanöver meines Mandanten frühzeitig aufmerksam geworden zu sein, sich deshalb umgedreht und gesehen zu haben, dass mein Mandant auf dem Gehweg auf ihn zufährt. Er sei dabei nicht schnell gefahren und habe vor ihm abgebremst. Eine konkrete Gefährdung lag daher nicht vor. Der Geschädigte konnte meinen Mandanten frühzeitig erkennen und hatte daher die Möglichkeit auszuweichen, was auch auf die geringe Geschwindigkeit...

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