Rz. 50

Bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ist der Versicherer zur Zahlung verpflichtet, es sei denn, es bestehen vorübergehende oder dauerhafte Einwendungen. Es ist Sache des Anwalts, diese Einwendungen zu prüfen und ihnen erforderlichenfalls entgegenzutreten.

a) Fehlende Fälligkeit

 

Rz. 51

Es reicht für die Fälligkeit nicht aus, den Versicherungsschein und alle anderen erforderlichen Unterlagen einzureichen. § 14 Abs. 1 VVG bestimmt, dass Versicherungsleistungen mit Beendigung der Erhebungen, die zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistungen erforderlich sind, fällig werden.

Während der Umfang der Leistungen bei Lebensversicherungsverträgen meist von vorneherein feststeht bzw. leicht zu errechnen ist, können Ermittlungen des Versicherers z.B. zur Todesursache der versicherten Person einigen Aufwand beinhalten.

Nötige Erhebungen beinhalten die Beschaffung der Informationen und Unterlagen, die ein durchschnittlich sorgfältiger Versicherer dieses Versicherungszweigs braucht, um den Versicherungsfall festzustellen und abschließend zu prüfen, ob und wem er gegenüber zur Leistung verpflichtet ist.[43]

Zu den Erhebungsquellen zählen insbesondere auch behördliche und gerichtliche Ermittlungen, die abzuwarten sind. Eigene Ermittlungen muss die Versicherung nach h.M. nicht anstellen. Die Fälligkeit ist daher solange nicht gegeben, wie die Versicherung keine Möglichkeit zur Akteneinsicht hatte.[44] Ebenso darf die Versicherung zur Klärung der Bezugsberechtigung die Erteilung des Erbscheins warten, bevor sie leistet.[45]

 

Rz. 52

 

Hinweis

Unabhängig von dem Akteneinsichtsgesuch der Lebensversicherung sollte bei Verdacht eines unnatürlichen Todes auch der Rechtsanwalt des Bezugsberechtigten um die Anforderung von Unterlagen bei der Polizei und Staatsanwaltschaft bemüht sein. Wenn er als erster Akteneinsicht erhält, kann er der Versicherung unmittelbar einen Auszug in Kopie zur Verfügung stellen. Erhält er nach der Versicherung die Akte, weiß er, seit wann die Versicherung Kenntnis vom Akteninhalt hat. Er kann dann bei positivem Befund den Leistungsanspruch nach entsprechender Wartefrist fällig stellen.

 

Rz. 53

Dem Versicherer wird eine gewisse Überlegungsfrist zugestanden, binnen derer er nach Auswertung der Unterlagen über seine Eintrittspflicht entscheiden muss. Die Spanne der Rechtsprechung reicht von einigen Tagen[46] bis zu einem Monat.[47] Hier mag es auch auf den Gegenstand der Prüfung ankommen. Nach Vorlage eines Erbscheins, der den bezugsberechtigten Erben bestimmt, kann man schneller eine Entscheidung erwarten als nach einer umfangreichen Unfallakte.

 

Rz. 54

Hat der Versicherer hingegen erklärt, er werde nach Vorlage bestimmter Unterlagen zahlen und werden diese vorgelegt, hat der Versicherer damit das Ende seiner Ermittlungen zum Ausdruck gebracht. Dann ist nach kürzester Bearbeitungsfrist die Fälligkeit zu bejahen.

[43] Vgl. Prölss/Martin, § 11 VVG Rn 3.
[44] OLG Hamm VersR 1987, 1129.
[45] OLG Karlsruhe VersR 1979, 564.
[46] LG Münster VersR 1977, 658.
[47] KG VersR 1951, 73.

b) Selbsttötung der versicherten Person

 

Rz. 55

Nach § 161 Abs. 1 VVG wird der Versicherer von der Leistung frei, wenn die versicherte Person (ohne Vorliegen einen krankhaften Störung) Selbstmord begangen hat. Die ALB[48] relativieren dies zugunsten des Bezugsberechtigten. Den Lebensversicherer trifft danach nur noch eine eingeschränkte Leistungspflicht im Falle der Selbsttötung der versicherten Person.

 

Rz. 56

Entscheidend ist hier die Beweislastverteilung: Der Versicherer hat nach den Regeln des Strengbeweises den Tatbestand der Selbsttötung zu beweisen.[49]

Der Beweis durch Indizien reicht aus. Nach § 286 ZPO ist keine unumstößliche Gewissheit des Richters, sondern ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erforderlich, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie jedoch völlig auszuschließen.[50] Sache des Anspruchstellers ist es hingegen zu beweisen, dass der Verstorbene sich in einem Zustand krankhafter Störung befand, der eine freie Willensbestimmung ausschloss.[51]

 

Rz. 57

Checkliste: Selbsttötung der versicherten Person

wirksamer Versicherungsvertrag?
Sonderregelung im Versicherungsvertrag (vgl. § 5 ALB 2021
Tod der versicherten Person?
Selbsttötung durch Versicherung beweisbar?
krankhafter Zustand durch Bezugsberechtigten beweisbar?
Ablauf der Dreijahresfrist seit Zahlung des Einlösungsbetrages?

mögliche Rechtsfolgen:

völlige Leistungsfreiheit
eingeschränkter Leistungsanspruch (Deckungskapital)
vollumfänglicher Leistungsanspruch
[48] Vgl. § 5 ALB 2021: "Was gilt bei Selbsttötung des Versicherten? (1) Bei vorsätzlicher Selbsttötung leisten wir, wenn seit Abschluss des Versicherungsvertrages drei Jahre vergangen sind. vor Ablauf von drei Jahren seit Zahlung des Einlösungsbeitrags oder seit Wiederherstellung der Versicherung. (2) Bei vorsätzlicher Selbsttötung vor Ablauf der Dreijahresfrist besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn uns nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung de...

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